Ohne
Geld geht nichts. Und wo kein Geld den Besitzer wechselt, ist auch
die Arbeit nichts wert. Wer etwas selbst herstellen möchte, muß
wenigstens Zutaten (Mehl oder Getreide für Brot und Kuchen) oder
Material (Wolle bzw. Stoff für Strümpfe, Pullover oder sonst.
Bekleidung) kaufen. Für den Anbau von Gemüse müssen Samen und vor
allem Gerätschaften gekauft werden; doch wer dafür Erde und Dünger
immer wieder neu kaufen muß, weil er eben keinen Garten und keinen
Kompost hat, rechne einmal nach - den Geldbeutel dürfte das eher
weniger entlasten. Auf jeden Fall ist es besser, als sein Gemüse
weiterhin ausschließlich im Laden zu kaufen, wie ich finde; denn man
lernt (wieder), wie man es anbaut. Das ist ein nicht zu
unterschätzender Schritt in Richtung Selbständigkeit; man erwirbt,
wenigstens zum Teil, Kompetenz für das Überleben. Viel wichtiger:
man erfährt wieder, wo unser Essen herstammt, wieviel Arbeit damit
verbunden ist und auch welche Unsicherheit ob der Mengen, die man
letztlich ernten kann.
Eine
hohe Arbeitsteilung im Verein mit der Verachtung von sog. Hausarbeit
und (seelen-)pflegerischer Tätigkeiten sorgt dafür, daß immer mehr
über Geld vermittelt wird. Verrichte ich meine Hausarbeit selbst,
versorge Kinder (und möglicherweise einen Garten) selbst, reduziere
also die sog. Erwerbstätigkeit auf ein Minimum oder "bleibe"
(eigentlich: arbeite) gleich ganz zuhause, muß ich mir Abhängigkeit
und Schmarotzertum vorwerfen lassen. Angeblich nämlich ist es das
Ehegattensplitting, das mich an der Aufnahme einer bezahlten Arbeit
hindert und nicht die Tatsache, daß mir eine sog. Berufstätigkeit
es nicht ermöglichen würde, für die Kinder genau dann da zu sein,
wenn diese das brauchen. Wenn ich mich jedoch um die Kinder anderer
Leute kümmere, ob als Erzieherin im Kindergarten oder als
Tagesmutter, ist dieselbe Tätigkeit plötzlich anerkannt. Dasselbe
gilt für alle Reinigungsarbeiten. Die Verachtung diesen Arbeiten
gegenüber äußert sich zwar immer noch in einer zu geringen
Bezahlung, obwohl es sich um unersetzbare Tätigkeiten handelt; aber
es gibt Geld, also Anerkennung - man darf diese Arbeit nur nicht für
sich selbst tun.
Dinge
des alltäglichen Bedarfs selbst herzustellen, ist zum Hobby
degradiert. Bei Lebensmitteln bleibt der im allgemeinen bessere
Geschmack z.B. der selbst-gemachten Marmelade; aber wenn man die
Zutaten nicht ohnehin im eigenen Garten hat, spart man dabei wenig
(von der Arbeitszeit ganz abgesehen). Rein ökonomisch betrachtet,
lohnt sich auch das Stricken eines Pullovers nicht: bereits die Wolle
kostet oft mehr als ein fertiger Pullover im Kaufhaus; weshalb die
mit entsprechenden Materialien ausgestatteten Läden ja auch darauf
konzentriert sind, Kreativität zu verkaufen. Natürlich geht es auch
hier darum, daß jemand daran verdient; und nicht etwa darum, die
Selbständigkeit erwachsener Menschen zu fördern.
Doch
den Preis für den Billig-Einkauf sollte man nicht unterschätzen.
Marmelade & Konserven in der Fabrik herzustellen, ist deshalb
billig, weil der Großteil der Arbeit nicht von Menschen, sondern von
Maschinen verrichtet wird (Anschaffungs- und Wartungskosten scheinen
da wenig ins Gewicht zu fallen); zumal die verbleibenden Arbeiten
vermutlich wenig hochqualifiziertes Personal verlangen, was natürlich
die Lohnkosten senkt. Die Rohstoffe dafür, also Obst und Gemüse,
werden billig eingekauft; auch hier werden die eigentlichen Erzeuger
für ihre Arbeit mit einem Demutslohn "abgespeist". Damit
das Land genug Ertrag abwirft, setzt man Dünger und sog.
Pflanzenschutzmittel (wie das in 2015 von der WHO als potentiell
krebserregend eingestufte Glyphosat) zum Teil im Übermaß ein, wie
der Zustand unserer Gewässer bzw. Bodenproben erkennen läßt. Auch
Gülle ist kein unbedenklicher Dünger; sie enthält einen Haufen
Medikamente, mit dem die Tiere in der Intensivhaltung zur
Schlachtreife gebracht werden. Diese Arzneistoffe, vor allem
Antibiotika, werden in Flüsse und Seen ausgewaschen; selbst wenn sie
(noch) nicht in für den Menschen gefährlicher Konzentration
vorliegen, richten sie dennoch Schaden an. Zum Thema "Bekleidung"
braucht man eigentlich nichts mehr zu sagen; seit dem Rana Plaza
"Unglück" in 2013 muß jeder wissen, daß vor allem billig
zu erwerbende Textilien nicht nur durch den Einsatz erheblicher
Mengen giftiger Chemikalien produziert werden, sondern auch von
Menschen, die ein Leben in einem solchen Elend führen, wie wir es
uns hierzulande gar nicht ausmalen können. Billige Plastikutensilien
für Küche und Haushalt schaden der Erde schon bei der Förderung
des Grundstoffs, Erdöl; sie geben aber auch Giftstoffe an darin
gelagerte Lebensmittel ab oder reichern sogar die (Atem-)Luft damit
an. Noch ein Wort zu den Maschinen: Die Rohstoffe zu ihrer
Herstellung müssen der Erde mühsam entrissen werden; die Folge sind
u.a. Massen chemischer Giftabfälle, die in der Regel nicht einmal
"ordentlich" deponiert werden, denn dafür müßte man sie
weiter bearbeiten, und der Kostenvorteil wäre dahin. (Vermutlich
würde sich unser Massenprodukt "Auto" dann niemand mehr
leisten können.)
Mit
einem Satz: Umwelt und Menschen werden vergiftet und benutzt, damit
wir (abgesehen von den hübschen Verdienstmöglichkeiten der
Konzernmanager sowie anderer Profiteure) nicht mehr selbst für
unsere unmittelbaren Bedürfnisse arbeiten (müssen), sondern frei
sind - ja, wofür eigentlich?
Ein
paar Zahlen (Quelle: Bundeszentrale für politische Bildung): 2012
arbeiteten nur noch 1,6 % der Arbeitsbevölkerung in Deutschland in
Land-, Forst- und Fischereiwirtschaft; im sog. produzierenden Gewerbe
(u.a. Herstellung von Nahrungs- und Genußmitteln sowie
Verbrauchsgütern, Energie- und Wasser-versorgung, Bergbau, Handwerk)
waren es 18,8 % (mit dem Baugewerbe: 24,7 %). Der große Rest, und
zwar 73,7 %, arbeitet im Dienstleistungsgewerbe - Handel,
Gastgewerbe, Verkehr, Behörden, Verwaltung, etc. Würde jeder selbst
(in kleinen, wirtschaftlich autarken Gemeinschaften) für die
Befriedigung seiner unmittelbaren Bedürfnisse sorgen, wären nahezu
alle dieser Jobs überflüssig. Selbst Ärzte würden kaum gebraucht,
weil eine so veränderte Lebensweise einerseits das Immunsystem
trainiert, und andererseits keine (oder nur sehr wenig) Schadstoffe
mehr produziert würden - klare Luft und sauberes Wasser helfen,
gesund zu bleiben. Natürlich wäre das Leben im Luxus, wie wir ihn
nicht nur für selbstverständlich halten, sondern z. T. sogar als
notwendig erleben, vorbei. Wenn solch ein Wandel überhaupt machbar
wäre, wäre er "Zukunftsmusik" - von heute auf morgen geht
immer nur das zu verändern, was wir hinbekommen.
Wie
auch immer: Nahezu drei Viertel unserer arbeitenden Bevölkerung
verbringen ihr Leben zum großen Teil im Sitzen, viele auch im Stehen
(Verkäufer, Kellner); in jedem Falle üben sie Tätigkeiten aus, die
Körper und Geist völlig einseitig belasten und daher überlasten.
Mit allen daraus folgenden Gesundheitsschäden. Übrigens waren noch
bis Anfang des 20. Jahrhunderts 80% der arbeitenden Bevölkerung in
der Landwirtschaft beschäftigt [Wikipedia]. Noch früher stellten
auch in Europa (meist im Rahmen einer Hausgemeinschaft) die Menschen
das, was sie brauchten, selbst her; eine Arbeitsteilung bestand, so
wie wir das heutzutage eher von sog. Naturvölkern wissen, höchstens
zwischen Männern und Frauen, nicht zwischen den einzelnen
Tätigkeiten und schon gar nicht den verschiedenen Arbeitsschritten.
Mit anderen Worten: Für die Arbeit wurde der ganze Mensch gebraucht,
mit allen seinen Sinnen und Fähigkeiten.
Die
einseitige, nur einen Teil von uns fordernde Arbeit, deren Ergebnis
nicht (mehr) uns gehört, wenn wir es denn überhaupt zu sehen
bekommen: sie erzeugt letzten Endes ein Gefühl der Leere. Zusammen
mit einem zunehmendem Zeitdruck mag sich manch einer wie in einem
Hamsterrad gefangen fühlen. Für sich selbst zu sorgen, wird nicht
honoriert - selbst wer krank ist, darf nicht "von selbst"
wissen, daß er nicht arbeiten kann, sondern braucht die Bestätigung
vom Arzt (der unter Umständen auch schon mal als Komplize gesehen
wird beim unterstellten Versuch, sich vor der Arbeit zu drücken), um
das für ihn Richtige zu tun (nämlich: gesunden). Belohnt wird
stattdessen Abhängigkeit: allerdings sollte man von einem
Arbeitgeber abhängig sein, nicht vom Staat. Hier sind die Begriffe
im Grunde genommen auf den Kopf gestellt, denn der "Besitzer"
eines Arbeitsplatzes wird im allgemeinen als unabhängig bezeichnet,
obwohl er weder entscheidet, was, noch wann, noch wieviel er
arbeitet. Dem von Sozialhilfe (Hartz4 etc.) lebenden Menschen wird
hingegen unterstellt, er begebe sich freiwillig in staatliche
Abhängigkeit, die wird dann allerdings "Hängematte"
genannt - als befinde er sich (als Schmarotzer) im Dauerurlaub. Das
ist zynisch und menschenverachtend, scheint aber den Vertretern
dieser Ansicht dabei zu helfen, nicht merken zu müssen, in welcher
Unselbständigkeit sie selbst ihr Leben verbringen. Propagiert wird,
gerade von den Menschen unabhängig zu sein, die einem am nächsten
stehen: Eltern, (Ehe-)Partner, Kinder, mit einem Wort: die Familie.
Dagegen von jemandem abhängig zu sein, den man kaum kennt, der
(Gewerkschaften hin oder her) mehr Macht hat als man selbst, und dem
man insbesondere in einem System, in dem sich alles um Geld dreht,
eigentlich nicht trauen kann - wird als normal betrachtet.
Unsere
Innenstädte dienen mehr oder weniger nur noch dem Konsum. In den
letzten Jahren bis Jahrzehnten sind überall zum Teil riesige
Ladengalerien entstanden, in denen man völlig unbeeinträchtigt von
jeglicher Sorte Wetter den ganzen Tag "shoppen" gehen kann.
Die Ladenschlußzeiten sind erheblich ausgeweitet worden, und
"Ereignisse" wie "Mitternachtsshopping" oder
verkaufsoffene Sonntage finden regelmäßig statt. Man staunt
darüber, wie voll die Zentren zu solchen Gelegenheiten sind. Die
"Events" werden angenommen, und die "Shoppenden"
scheint überhaupt nicht zu interessieren, daß für ihr Flanieren
andere Menschen tatsächlich arbeiten müssen, zu einer Tageszeit, zu
der sie vielleicht auch gerne lieber auf ihre Weise entspannen
würden; und an einem Tag am Wochenende, den sie vielleicht lieber
mit Freunden, Partnern oder der Familie verbrächten. Ein reichlich
asoziales Verhalten!
Willkommen
in der Überflußgesellschaft! Kleidung wird nicht gekauft, weil man
sie braucht, sondern weil sie Mode ist. Weil man sich damit als
jemand darstellen kann. Sie wird nicht getragen, bis sie kaputt geht;
nächste Saison ist etwas anderes angesagt. Damit man sich das
leisten kann, läßt man sie von Näherinnen in Bangladesh
herstellen, die zu Hungerlöhnen arbeiten. Die großen
Bekleidungs-firmen machen das so, kann man ja nicht ändern - sagen
sich Konsument und Konsumentin und kaufen. Oft werden inzwischen
Materialkosten gespart - T-Shirts sind dann so dünn, daß sie
spätestens am Ende der Saison Löcher haben. Macht nichts, nächstes
Jahr sind andere Farben in Mode.
Kinderspielzeug
- noch so ein Thema! Die Stofftiersammlungen mancher Kinder-zimmer
sind äußerst beeindruckend. Die Angebotsfülle in den
entsprechenden Geschäften bzw. Abteilungen ist atemberaubend. Die
Einteilung in Mädchen- und Jungenspielzeug auch: Es ist, als hätte
es eine feministische Bewegung der 60-er und 70-er Jahre nie gegeben.
Man fragt sich angesichts solcher Phänomene wie "Prinzessin
Lilifee" oder, das neueste, sogenannten "Model-Büchern"
(die offenbar dazu dienen, daß bereits jedes vorpubertäre Mädchen
lernt, sich selbst zum von anderen gewünschten Objekt zu gestalten),
warum vor allem die Politik Besorgnis darüber ausdrückt, daß nach
wie vor so wenig Frauen technische Berufe ergreifen - wäre das ernst
gemeint, müßte ja diese Sorte "Spielzeug" längst
verboten sein.
Worum
also geht es beim Konsumieren? Als trivial gilt wohl inzwischen die
Einsicht, daß es sich dabei irgendwie um Kompensation handelt: Eine
oft unmenschliche Arbeitswelt, die uns ihren Rhythmus aufdrückt, uns
Zwängen aller Art und allerlei stressigen Bedingungen aussetzt, will
ertragen werden. Wer dabei auch noch wenig verdient, muß halt billig
konsumieren - auch dafür ist das Angebot riesengroß. (Reicht das
Geld nicht? - Finanzkauf!) Schulkinder brauchen die neuesten
Klamotten, damit sie nicht gehänselt werden (oder Schlimmeres). Auch
ohne Mobiltelefon kommen sie nicht aus (oft allerdings eher ihre
Eltern, für die der Nachwuchs dann jederzeit erreichbar, also in
gewisser Weise kontrollierbar ist). Zu allen Festen muß ordentlich
geschenkt werden - so drücken sich Sorge und Zuneigung heutzutage
aus, oder besser gesagt: das, was viele Menschen inzwischen für
Sorge und Zuneigung halten. Wenn man Jugendliche darüber reden hört,
könnte man meinen, es gebe ein Recht auf bestimmte Geschenke, mit
einem Mindestwert natürlich.
Mittels
Konsum aufgewachsen zu sein, erzeugt materielle Ansprüche. Dadurch
wird man willig, Geld zu verdienen und nimmt dafür auch wenig
erträgliche Arbeitsbedingungen hin. Da man letztere nicht ändern
kann, fühlt man sich insbesondere für die negativen Folgen der
eigenen Arbeit nicht verantwortlich (ob davon nun andere Menschen
oder die Umwelt betroffen sind). Um diese Zwangslage nicht sehen zu
müssen, oder wenn man sie sieht, aushalten zu können, konsumiert
man. Und dabei möchte man erst recht nicht auf irgendwelche Folgen
achten müssen - hier muß man endlich einmal entlastet werden.
Das
sind die Zusammenhänge. Oder?
Einerseits
schon. Andererseits können wir uns hier nicht einfach als Opfer
hinstellen. Zum einen müßten wir endlich einmal den Mut aufbringen,
uns diese unmenschlichen Verhältnisse nicht immer weiter schön zu
reden. Oder andere dafür verantwortlich zu machen - wir mögen
nichts dafür können, aber es liegt in unserer
Zuständigkeit, etwas dagegen zu tun. Genau hier liegt der
Unterschied zwischen Schuld und Verantwortung. Deshalb sollten wir
uns andererseits darüber klar werden, wie wir diese Zustände an die
nächste Generation weitergeben:
Kinder
mit Spielzeug zuzumüllen bedeutet, sie ungeheuer zu überfordern.
Oft schlägt angesichts der Überfülle die Langeweile zu. In
modernen Kleinfamilien sind Kinder oft auf sich selbst verwiesen; das
viele Spielzeug stellt eine Kompensation dafür dar, daß die
Erwachsenen im Grunde viel zu wenig Zeit haben, sich mit ihren
Kindern zu beschäftigen (und ob Erwachsene mit Kindern wirklich
Kinderspiele spielen sollten, ist eine andere Frage). Kompensiert
wird aber vor allem die Tatsache, daß Kinder inzwischen nahezu
vollständig aus dem öffentlichen Leben verdrängt worden sind;
statt Erwachsene im Alltag bei ihren Tätigkeiten beobachten (die ja
dem Leben und dem Überleben der ganzen Gesellschaft dienen) bzw. an
diesen Tätigkeiten teilnehmen zu können, werden Kinder auf eine
Ersatzwelt verwiesen.
Zudem
sind oft wenig Spielkameraden in der Nähe. (Als ich Kind war, in den
60-er Jahren, gab es viele Kinder, und niemand mußte unser
gemeinsames Spielen organisieren - wir taten das selbst. Das scheint
heute anders zu sein.) Spielzeug ist passiv; das Kind muß selbst
überlegen, was es damit anfängt. Doch Kinder brauchen Anregungen
von außen (erst dann und dadurch kommen sie zu eigenen Ideen);
Menschen, die sie beobachten können, zeigen ihnen, was man mit den
Dingen macht und machen kann. Schließlich geht es auch darum, etwas
zusammen zu machen: Vor allem kleine Kinder fangen schnell an, sich
zu langweilen - erst wenn sie über längere Zeit Anregung gefunden
haben, sind sie überhaupt in der Lage, sich "für sich" in
etwas zu versenken. Auch dann brauchen sie immer noch den Erwachsenen
in der Nähe, der sie in ihrem Tun bestätigt. In dieser Hinsicht
kann eine Erzieherin im Kindergarten den Bedürfnissen der Kinder gar
nicht gerecht werden, egal wie sehr sie sich bemüht. Die Kinder sind
zu viele, und auch hier sind Umgebung und Arbeit der Erzieherin
künstlich gemacht. Die Kinder können einen erwachsenen Menschen nur
dabei beobachten, wie er/sie Dinge macht, die ausschließlich für
Kinder bzw. mit diesen gedacht sind. Mit einer Gemeinschaft, die ihr
Leben bzw. Überleben organisiert, hat das nichts zu tun. So ist für
die Kinder eigentlich nicht klar, wo sie hineinwachsen sollen, und
was die Gesellschaft zukünftig von ihnen erwartet.
Das
Fehlen dieser gemeinschaftlichen Bezogenheit bildet die Lücke, in
die das Fernsehen hineindrängt. Die Werbeindustrie mit ihrer
Marktschreierei bietet das Versprechen, mit dem Kauf bestimmter
Produkte an der geheimnisvollen, bunten Welt der Erwachsenen
teilhaben zu können. Allerdings wird hier Anregung eher durch
Aufregung ersetzt; das Spannende am neuen Spielzeug besteht häufig
nur darin, daß es neu ist; oft sind die Spielmöglichkeiten so
festgelegt, daß es schnell wieder langweilig wird. Das Spielzeug
selbst aber bringt keine Nähe zu Anderen; im Gegenteil dient es zur
Einübung in den Wettbewerb: Wer hat die besten Spiele, wer die
neuesten? Wer hat die besten Geräte, mit der supertollsten Software?
Auch dies wird über den in der Reklame herrschenden Grundton
vermittelt, aber nicht nur; letzten Endes ist ja unser ganzes
Bildungssystem über Wettbewerb organisiert; ein Mensch entfernt sich
vom anderen, Nähe gibt es höchstens selektiv. Der Konsum von immer
Neuem läßt einen nie satt werden, ohne daß man jedoch merken
müßte, was einem wirklich fehlt.
Unsere
Kinder wachsen nicht auf, indem sie am Alltagsleben teilnehmen,
sondern sie sind auf eine "Lernwelt" verwiesen, für die
extra Berufe erfunden wurden: ErzieherInnen und LehrerInnen sollen
ihnen beibringen, was man im Leben so braucht. Mit der Spielzeugwelt
wird ihnen zudem eine ungeheuere Ersatzwelt präsentiert, die
allerdings eines nicht enthält: das reale Leben in der realen
Gemeinschaft. Es ist alles ein "als-ob".
Konsum
wird vor allem dadurch zum Kompensationsmittel, daß Erwachsene nicht
über den Ablauf ihre Alltags bestimmen können und daher Eltern mit
ihren Bedürfnissen (sei es auch nur, einem Arbeitgeber zu genügen,
um ein sicheres Einkommen nach Hause zu bringen; aber auch mit den
Erholungsbedürfnissen) zu den Bedürfnissen ihrer Kinder in
Konkurrenz geraten. Es sind die Kleinigkeiten im gerade für
berufstätige Eltern viel zu stressigen Alltagsleben: Das Kind, das
sich morgens selbst anziehen will und dafür (das heißt: für das
Bedürfnis der Erwachsenen) zu lange braucht, ist nicht
alltagskompatibel. Daher darf es sich in aller Regel nicht selbst
anziehen. Hier wird seitens der Erwachsenen gegen einen starken
Impuls gearbeitet - wie jeder weiß, der die Reaktion der Kinder auf
ein solches Verbot erlebt hat. Ein protestierendes Kind läßt sich
aber auch nicht so einfach anziehen; daher wird in solchen Fällen
nicht selten zu manipulativen Mitteln gegriffen. Man überredet das
Kind, sich anziehen zu lassen (oder was auch immer sonst man von ihm
will), indem man ihm etwas anderes dafür anbietet. Wenn es jetzt
still hält, geht Mama nachher mit ihm in den Park, und es bekommt
ein Eis. Je nach den bekannten Vorlieben des Kindes. -- Wenn es dann
in die Karre soll, um geschoben zu werden, aber leider, leider heute
laufen will, steht der nächste Konflikt an. Da ist dann u. U.
schnell das leckere Brötchen zur Hand, mit dem es sich (hoffentlich)
ablenken läßt. So wird also bereits im Elternhaus Kompensation
eingeübt - Kompensation dafür, daß das Kind nicht bekommt, was es
eigentlich für seine Entwicklung zu einem reifen, selbständigen
Menschen brauchen würde. (So wie der erwachsene, im Arbeitsleben
stehende Mensch es gefälligst hinzunehmen hat, nicht als
vollständiger Mensch angesprochen zu werden.)
Dabei
wird aber auch etwas geradezu Fatales gelernt: In aller Regel lassen
die Erwachsenen das Kind ja nicht einfach protestieren, während sie
ihren Willen durchsetzen. (Es tut schließlich weh, dem eigenen Kind
nicht gerecht werden zu können.) Statt dessen wird das Kind von
seinem Schmerz abgelenkt. Doch Schmerz verschwindet so nicht, er wird
bloß verdrängt - was sich letzten Endes, sofern die Erwachsenen
sich regelmäßig auf solche Weise verhalten, in ein Verhaltensmuster
der Kinder umsetzt. In begrenztem Maße kennen wir das alle von uns
selbst: statt uns gegen verletzende Menschen (oder eben: verletzende
Verhältnisse) zur Wehr zu setzen, greifen wir zur Zigarette. Oder
zur Schokolade. Und wenn der Tag besonders stressig war, kann es auch
ein Glas Wein oder eine Flasche Bier mehr werden als sonst. Doch
letzten Endes nehmen wir damit ein Leben hin, das so nicht sein
sollte. Für niemanden.