Montag, 7. Dezember 2015

Konsum in der gegenwärtigen Gesellschaft - Gedanken über ein Symptom

Ohne Geld geht nichts. Und wo kein Geld den Besitzer wechselt, ist auch die Arbeit nichts wert. Wer etwas selbst herstellen möchte, muß wenigstens Zutaten (Mehl oder Getreide für Brot und Kuchen) oder Material (Wolle bzw. Stoff für Strümpfe, Pullover oder sonst. Bekleidung) kaufen. Für den Anbau von Gemüse müssen Samen und vor allem Gerätschaften gekauft werden; doch wer dafür Erde und Dünger immer wieder neu kaufen muß, weil er eben keinen Garten und keinen Kompost hat, rechne einmal nach - den Geldbeutel dürfte das eher weniger entlasten. Auf jeden Fall ist es besser, als sein Gemüse weiterhin ausschließlich im Laden zu kaufen, wie ich finde; denn man lernt (wieder), wie man es anbaut. Das ist ein nicht zu unterschätzender Schritt in Richtung Selbständigkeit; man erwirbt, wenigstens zum Teil, Kompetenz für das Überleben. Viel wichtiger: man erfährt wieder, wo unser Essen herstammt, wieviel Arbeit damit verbunden ist und auch welche Unsicherheit ob der Mengen, die man letztlich ernten kann.

Eine hohe Arbeitsteilung im Verein mit der Verachtung von sog. Hausarbeit und (seelen-)pflegerischer Tätigkeiten sorgt dafür, daß immer mehr über Geld vermittelt wird. Verrichte ich meine Hausarbeit selbst, versorge Kinder (und möglicherweise einen Garten) selbst, reduziere also die sog. Erwerbstätigkeit auf ein Minimum oder "bleibe" (eigentlich: arbeite) gleich ganz zuhause, muß ich mir Abhängigkeit und Schmarotzertum vorwerfen lassen. Angeblich nämlich ist es das Ehegattensplitting, das mich an der Aufnahme einer bezahlten Arbeit hindert und nicht die Tatsache, daß mir eine sog. Berufstätigkeit es nicht ermöglichen würde, für die Kinder genau dann da zu sein, wenn diese das brauchen. Wenn ich mich jedoch um die Kinder anderer Leute kümmere, ob als Erzieherin im Kindergarten oder als Tagesmutter, ist dieselbe Tätigkeit plötzlich anerkannt. Dasselbe gilt für alle Reinigungsarbeiten. Die Verachtung diesen Arbeiten gegenüber äußert sich zwar immer noch in einer zu geringen Bezahlung, obwohl es sich um unersetzbare Tätigkeiten handelt; aber es gibt Geld, also Anerkennung - man darf diese Arbeit nur nicht für sich selbst tun.

Dinge des alltäglichen Bedarfs selbst herzustellen, ist zum Hobby degradiert. Bei Lebensmitteln bleibt der im allgemeinen bessere Geschmack z.B. der selbst-gemachten Marmelade; aber wenn man die Zutaten nicht ohnehin im eigenen Garten hat, spart man dabei wenig (von der Arbeitszeit ganz abgesehen). Rein ökonomisch betrachtet, lohnt sich auch das Stricken eines Pullovers nicht: bereits die Wolle kostet oft mehr als ein fertiger Pullover im Kaufhaus; weshalb die mit entsprechenden Materialien ausgestatteten Läden ja auch darauf konzentriert sind, Kreativität zu verkaufen. Natürlich geht es auch hier darum, daß jemand daran verdient; und nicht etwa darum, die Selbständigkeit erwachsener Menschen zu fördern.

Doch den Preis für den Billig-Einkauf sollte man nicht unterschätzen. Marmelade & Konserven in der Fabrik herzustellen, ist deshalb billig, weil der Großteil der Arbeit nicht von Menschen, sondern von Maschinen verrichtet wird (Anschaffungs- und Wartungskosten scheinen da wenig ins Gewicht zu fallen); zumal die verbleibenden Arbeiten vermutlich wenig hochqualifiziertes Personal verlangen, was natürlich die Lohnkosten senkt. Die Rohstoffe dafür, also Obst und Gemüse, werden billig eingekauft; auch hier werden die eigentlichen Erzeuger für ihre Arbeit mit einem Demutslohn "abgespeist". Damit das Land genug Ertrag abwirft, setzt man Dünger und sog. Pflanzenschutzmittel (wie das in 2015 von der WHO als potentiell krebserregend eingestufte Glyphosat) zum Teil im Übermaß ein, wie der Zustand unserer Gewässer bzw. Bodenproben erkennen läßt. Auch Gülle ist kein unbedenklicher Dünger; sie enthält einen Haufen Medikamente, mit dem die Tiere in der Intensivhaltung zur Schlachtreife gebracht werden. Diese Arzneistoffe, vor allem Antibiotika, werden in Flüsse und Seen ausgewaschen; selbst wenn sie (noch) nicht in für den Menschen gefährlicher Konzentration vorliegen, richten sie dennoch Schaden an. Zum Thema "Bekleidung" braucht man eigentlich nichts mehr zu sagen; seit dem Rana Plaza "Unglück" in 2013 muß jeder wissen, daß vor allem billig zu erwerbende Textilien nicht nur durch den Einsatz erheblicher Mengen giftiger Chemikalien produziert werden, sondern auch von Menschen, die ein Leben in einem solchen Elend führen, wie wir es uns hierzulande gar nicht ausmalen können. Billige Plastikutensilien für Küche und Haushalt schaden der Erde schon bei der Förderung des Grundstoffs, Erdöl; sie geben aber auch Giftstoffe an darin gelagerte Lebensmittel ab oder reichern sogar die (Atem-)Luft damit an. Noch ein Wort zu den Maschinen: Die Rohstoffe zu ihrer Herstellung müssen der Erde mühsam entrissen werden; die Folge sind u.a. Massen chemischer Giftabfälle, die in der Regel nicht einmal "ordentlich" deponiert werden, denn dafür müßte man sie weiter bearbeiten, und der Kostenvorteil wäre dahin. (Vermutlich würde sich unser Massenprodukt "Auto" dann niemand mehr leisten können.)
Mit einem Satz: Umwelt und Menschen werden vergiftet und benutzt, damit wir (abgesehen von den hübschen Verdienstmöglichkeiten der Konzernmanager sowie anderer Profiteure) nicht mehr selbst für unsere unmittelbaren Bedürfnisse arbeiten (müssen), sondern frei sind - ja, wofür eigentlich?

Ein paar Zahlen (Quelle: Bundeszentrale für politische Bildung): 2012 arbeiteten nur noch 1,6 % der Arbeitsbevölkerung in Deutschland in Land-, Forst- und Fischereiwirtschaft; im sog. produzierenden Gewerbe (u.a. Herstellung von Nahrungs- und Genußmitteln sowie Verbrauchsgütern, Energie- und Wasser-versorgung, Bergbau, Handwerk) waren es 18,8 % (mit dem Baugewerbe: 24,7 %). Der große Rest, und zwar 73,7 %, arbeitet im Dienstleistungsgewerbe - Handel, Gastgewerbe, Verkehr, Behörden, Verwaltung, etc. Würde jeder selbst (in kleinen, wirtschaftlich autarken Gemeinschaften) für die Befriedigung seiner unmittelbaren Bedürfnisse sorgen, wären nahezu alle dieser Jobs überflüssig. Selbst Ärzte würden kaum gebraucht, weil eine so veränderte Lebensweise einerseits das Immunsystem trainiert, und andererseits keine (oder nur sehr wenig) Schadstoffe mehr produziert würden - klare Luft und sauberes Wasser helfen, gesund zu bleiben. Natürlich wäre das Leben im Luxus, wie wir ihn nicht nur für selbstverständlich halten, sondern z. T. sogar als notwendig erleben, vorbei. Wenn solch ein Wandel überhaupt machbar wäre, wäre er "Zukunftsmusik" - von heute auf morgen geht immer nur das zu verändern, was wir hinbekommen.

Wie auch immer: Nahezu drei Viertel unserer arbeitenden Bevölkerung verbringen ihr Leben zum großen Teil im Sitzen, viele auch im Stehen (Verkäufer, Kellner); in jedem Falle üben sie Tätigkeiten aus, die Körper und Geist völlig einseitig belasten und daher überlasten. Mit allen daraus folgenden Gesundheitsschäden. Übrigens waren noch bis Anfang des 20. Jahrhunderts 80% der arbeitenden Bevölkerung in der Landwirtschaft beschäftigt [Wikipedia]. Noch früher stellten auch in Europa (meist im Rahmen einer Hausgemeinschaft) die Menschen das, was sie brauchten, selbst her; eine Arbeitsteilung bestand, so wie wir das heutzutage eher von sog. Naturvölkern wissen, höchstens zwischen Männern und Frauen, nicht zwischen den einzelnen Tätigkeiten und schon gar nicht den verschiedenen Arbeitsschritten. Mit anderen Worten: Für die Arbeit wurde der ganze Mensch gebraucht, mit allen seinen Sinnen und Fähigkeiten.

Die einseitige, nur einen Teil von uns fordernde Arbeit, deren Ergebnis nicht (mehr) uns gehört, wenn wir es denn überhaupt zu sehen bekommen: sie erzeugt letzten Endes ein Gefühl der Leere. Zusammen mit einem zunehmendem Zeitdruck mag sich manch einer wie in einem Hamsterrad gefangen fühlen. Für sich selbst zu sorgen, wird nicht honoriert - selbst wer krank ist, darf nicht "von selbst" wissen, daß er nicht arbeiten kann, sondern braucht die Bestätigung vom Arzt (der unter Umständen auch schon mal als Komplize gesehen wird beim unterstellten Versuch, sich vor der Arbeit zu drücken), um das für ihn Richtige zu tun (nämlich: gesunden). Belohnt wird stattdessen Abhängigkeit: allerdings sollte man von einem Arbeitgeber abhängig sein, nicht vom Staat. Hier sind die Begriffe im Grunde genommen auf den Kopf gestellt, denn der "Besitzer" eines Arbeitsplatzes wird im allgemeinen als unabhängig bezeichnet, obwohl er weder entscheidet, was, noch wann, noch wieviel er arbeitet. Dem von Sozialhilfe (Hartz4 etc.) lebenden Menschen wird hingegen unterstellt, er begebe sich freiwillig in staatliche Abhängigkeit, die wird dann allerdings "Hängematte" genannt - als befinde er sich (als Schmarotzer) im Dauerurlaub. Das ist zynisch und menschenverachtend, scheint aber den Vertretern dieser Ansicht dabei zu helfen, nicht merken zu müssen, in welcher Unselbständigkeit sie selbst ihr Leben verbringen. Propagiert wird, gerade von den Menschen unabhängig zu sein, die einem am nächsten stehen: Eltern, (Ehe-)Partner, Kinder, mit einem Wort: die Familie. Dagegen von jemandem abhängig zu sein, den man kaum kennt, der (Gewerkschaften hin oder her) mehr Macht hat als man selbst, und dem man insbesondere in einem System, in dem sich alles um Geld dreht, eigentlich nicht trauen kann - wird als normal betrachtet.

Unsere Innenstädte dienen mehr oder weniger nur noch dem Konsum. In den letzten Jahren bis Jahrzehnten sind überall zum Teil riesige Ladengalerien entstanden, in denen man völlig unbeeinträchtigt von jeglicher Sorte Wetter den ganzen Tag "shoppen" gehen kann. Die Ladenschlußzeiten sind erheblich ausgeweitet worden, und "Ereignisse" wie "Mitternachtsshopping" oder verkaufsoffene Sonntage finden regelmäßig statt. Man staunt darüber, wie voll die Zentren zu solchen Gelegenheiten sind. Die "Events" werden angenommen, und die "Shoppenden" scheint überhaupt nicht zu interessieren, daß für ihr Flanieren andere Menschen tatsächlich arbeiten müssen, zu einer Tageszeit, zu der sie vielleicht auch gerne lieber auf ihre Weise entspannen würden; und an einem Tag am Wochenende, den sie vielleicht lieber mit Freunden, Partnern oder der Familie verbrächten. Ein reichlich asoziales Verhalten!

Willkommen in der Überflußgesellschaft! Kleidung wird nicht gekauft, weil man sie braucht, sondern weil sie Mode ist. Weil man sich damit als jemand darstellen kann. Sie wird nicht getragen, bis sie kaputt geht; nächste Saison ist etwas anderes angesagt. Damit man sich das leisten kann, läßt man sie von Näherinnen in Bangladesh herstellen, die zu Hungerlöhnen arbeiten. Die großen Bekleidungs-firmen machen das so, kann man ja nicht ändern - sagen sich Konsument und Konsumentin und kaufen. Oft werden inzwischen Materialkosten gespart - T-Shirts sind dann so dünn, daß sie spätestens am Ende der Saison Löcher haben. Macht nichts, nächstes Jahr sind andere Farben in Mode.
Kinderspielzeug - noch so ein Thema! Die Stofftiersammlungen mancher Kinder-zimmer sind äußerst beeindruckend. Die Angebotsfülle in den entsprechenden Geschäften bzw. Abteilungen ist atemberaubend. Die Einteilung in Mädchen- und Jungenspielzeug auch: Es ist, als hätte es eine feministische Bewegung der 60-er und 70-er Jahre nie gegeben. Man fragt sich angesichts solcher Phänomene wie "Prinzessin Lilifee" oder, das neueste, sogenannten "Model-Büchern" (die offenbar dazu dienen, daß bereits jedes vorpubertäre Mädchen lernt, sich selbst zum von anderen gewünschten Objekt zu gestalten), warum vor allem die Politik Besorgnis darüber ausdrückt, daß nach wie vor so wenig Frauen technische Berufe ergreifen - wäre das ernst gemeint, müßte ja diese Sorte "Spielzeug" längst verboten sein.

Worum also geht es beim Konsumieren? Als trivial gilt wohl inzwischen die Einsicht, daß es sich dabei irgendwie um Kompensation handelt: Eine oft unmenschliche Arbeitswelt, die uns ihren Rhythmus aufdrückt, uns Zwängen aller Art und allerlei stressigen Bedingungen aussetzt, will ertragen werden. Wer dabei auch noch wenig verdient, muß halt billig konsumieren - auch dafür ist das Angebot riesengroß. (Reicht das Geld nicht? - Finanzkauf!) Schulkinder brauchen die neuesten Klamotten, damit sie nicht gehänselt werden (oder Schlimmeres). Auch ohne Mobiltelefon kommen sie nicht aus (oft allerdings eher ihre Eltern, für die der Nachwuchs dann jederzeit erreichbar, also in gewisser Weise kontrollierbar ist). Zu allen Festen muß ordentlich geschenkt werden - so drücken sich Sorge und Zuneigung heutzutage aus, oder besser gesagt: das, was viele Menschen inzwischen für Sorge und Zuneigung halten. Wenn man Jugendliche darüber reden hört, könnte man meinen, es gebe ein Recht auf bestimmte Geschenke, mit einem Mindestwert natürlich.

Mittels Konsum aufgewachsen zu sein, erzeugt materielle Ansprüche. Dadurch wird man willig, Geld zu verdienen und nimmt dafür auch wenig erträgliche Arbeitsbedingungen hin. Da man letztere nicht ändern kann, fühlt man sich insbesondere für die negativen Folgen der eigenen Arbeit nicht verantwortlich (ob davon nun andere Menschen oder die Umwelt betroffen sind). Um diese Zwangslage nicht sehen zu müssen, oder wenn man sie sieht, aushalten zu können, konsumiert man. Und dabei möchte man erst recht nicht auf irgendwelche Folgen achten müssen - hier muß man endlich einmal entlastet werden.

Das sind die Zusammenhänge. Oder?

Einerseits schon. Andererseits können wir uns hier nicht einfach als Opfer hinstellen. Zum einen müßten wir endlich einmal den Mut aufbringen, uns diese unmenschlichen Verhältnisse nicht immer weiter schön zu reden. Oder andere dafür verantwortlich zu machen - wir mögen nichts dafür können, aber es liegt in unserer Zuständigkeit, etwas dagegen zu tun. Genau hier liegt der Unterschied zwischen Schuld und Verantwortung. Deshalb sollten wir uns andererseits darüber klar werden, wie wir diese Zustände an die nächste Generation weitergeben:

Kinder mit Spielzeug zuzumüllen bedeutet, sie ungeheuer zu überfordern. Oft schlägt angesichts der Überfülle die Langeweile zu. In modernen Kleinfamilien sind Kinder oft auf sich selbst verwiesen; das viele Spielzeug stellt eine Kompensation dafür dar, daß die Erwachsenen im Grunde viel zu wenig Zeit haben, sich mit ihren Kindern zu beschäftigen (und ob Erwachsene mit Kindern wirklich Kinderspiele spielen sollten, ist eine andere Frage). Kompensiert wird aber vor allem die Tatsache, daß Kinder inzwischen nahezu vollständig aus dem öffentlichen Leben verdrängt worden sind; statt Erwachsene im Alltag bei ihren Tätigkeiten beobachten (die ja dem Leben und dem Überleben der ganzen Gesellschaft dienen) bzw. an diesen Tätigkeiten teilnehmen zu können, werden Kinder auf eine Ersatzwelt verwiesen.
Zudem sind oft wenig Spielkameraden in der Nähe. (Als ich Kind war, in den 60-er Jahren, gab es viele Kinder, und niemand mußte unser gemeinsames Spielen organisieren - wir taten das selbst. Das scheint heute anders zu sein.) Spielzeug ist passiv; das Kind muß selbst überlegen, was es damit anfängt. Doch Kinder brauchen Anregungen von außen (erst dann und dadurch kommen sie zu eigenen Ideen); Menschen, die sie beobachten können, zeigen ihnen, was man mit den Dingen macht und machen kann. Schließlich geht es auch darum, etwas zusammen zu machen: Vor allem kleine Kinder fangen schnell an, sich zu langweilen - erst wenn sie über längere Zeit Anregung gefunden haben, sind sie überhaupt in der Lage, sich "für sich" in etwas zu versenken. Auch dann brauchen sie immer noch den Erwachsenen in der Nähe, der sie in ihrem Tun bestätigt. In dieser Hinsicht kann eine Erzieherin im Kindergarten den Bedürfnissen der Kinder gar nicht gerecht werden, egal wie sehr sie sich bemüht. Die Kinder sind zu viele, und auch hier sind Umgebung und Arbeit der Erzieherin künstlich gemacht. Die Kinder können einen erwachsenen Menschen nur dabei beobachten, wie er/sie Dinge macht, die ausschließlich für Kinder bzw. mit diesen gedacht sind. Mit einer Gemeinschaft, die ihr Leben bzw. Überleben organisiert, hat das nichts zu tun. So ist für die Kinder eigentlich nicht klar, wo sie hineinwachsen sollen, und was die Gesellschaft zukünftig von ihnen erwartet.
Das Fehlen dieser gemeinschaftlichen Bezogenheit bildet die Lücke, in die das Fernsehen hineindrängt. Die Werbeindustrie mit ihrer Marktschreierei bietet das Versprechen, mit dem Kauf bestimmter Produkte an der geheimnisvollen, bunten Welt der Erwachsenen teilhaben zu können. Allerdings wird hier Anregung eher durch Aufregung ersetzt; das Spannende am neuen Spielzeug besteht häufig nur darin, daß es neu ist; oft sind die Spielmöglichkeiten so festgelegt, daß es schnell wieder langweilig wird. Das Spielzeug selbst aber bringt keine Nähe zu Anderen; im Gegenteil dient es zur Einübung in den Wettbewerb: Wer hat die besten Spiele, wer die neuesten? Wer hat die besten Geräte, mit der supertollsten Software? Auch dies wird über den in der Reklame herrschenden Grundton vermittelt, aber nicht nur; letzten Endes ist ja unser ganzes Bildungssystem über Wettbewerb organisiert; ein Mensch entfernt sich vom anderen, Nähe gibt es höchstens selektiv. Der Konsum von immer Neuem läßt einen nie satt werden, ohne daß man jedoch merken müßte, was einem wirklich fehlt.

Unsere Kinder wachsen nicht auf, indem sie am Alltagsleben teilnehmen, sondern sie sind auf eine "Lernwelt" verwiesen, für die extra Berufe erfunden wurden: ErzieherInnen und LehrerInnen sollen ihnen beibringen, was man im Leben so braucht. Mit der Spielzeugwelt wird ihnen zudem eine ungeheuere Ersatzwelt präsentiert, die allerdings eines nicht enthält: das reale Leben in der realen Gemeinschaft. Es ist alles ein "als-ob".

Konsum wird vor allem dadurch zum Kompensationsmittel, daß Erwachsene nicht über den Ablauf ihre Alltags bestimmen können und daher Eltern mit ihren Bedürfnissen (sei es auch nur, einem Arbeitgeber zu genügen, um ein sicheres Einkommen nach Hause zu bringen; aber auch mit den Erholungsbedürfnissen) zu den Bedürfnissen ihrer Kinder in Konkurrenz geraten. Es sind die Kleinigkeiten im gerade für berufstätige Eltern viel zu stressigen Alltagsleben: Das Kind, das sich morgens selbst anziehen will und dafür (das heißt: für das Bedürfnis der Erwachsenen) zu lange braucht, ist nicht alltagskompatibel. Daher darf es sich in aller Regel nicht selbst anziehen. Hier wird seitens der Erwachsenen gegen einen starken Impuls gearbeitet - wie jeder weiß, der die Reaktion der Kinder auf ein solches Verbot erlebt hat. Ein protestierendes Kind läßt sich aber auch nicht so einfach anziehen; daher wird in solchen Fällen nicht selten zu manipulativen Mitteln gegriffen. Man überredet das Kind, sich anziehen zu lassen (oder was auch immer sonst man von ihm will), indem man ihm etwas anderes dafür anbietet. Wenn es jetzt still hält, geht Mama nachher mit ihm in den Park, und es bekommt ein Eis. Je nach den bekannten Vorlieben des Kindes. -- Wenn es dann in die Karre soll, um geschoben zu werden, aber leider, leider heute laufen will, steht der nächste Konflikt an. Da ist dann u. U. schnell das leckere Brötchen zur Hand, mit dem es sich (hoffentlich) ablenken läßt. So wird also bereits im Elternhaus Kompensation eingeübt - Kompensation dafür, daß das Kind nicht bekommt, was es eigentlich für seine Entwicklung zu einem reifen, selbständigen Menschen brauchen würde. (So wie der erwachsene, im Arbeitsleben stehende Mensch es gefälligst hinzunehmen hat, nicht als vollständiger Mensch angesprochen zu werden.)

Dabei wird aber auch etwas geradezu Fatales gelernt: In aller Regel lassen die Erwachsenen das Kind ja nicht einfach protestieren, während sie ihren Willen durchsetzen. (Es tut schließlich weh, dem eigenen Kind nicht gerecht werden zu können.) Statt dessen wird das Kind von seinem Schmerz abgelenkt. Doch Schmerz verschwindet so nicht, er wird bloß verdrängt - was sich letzten Endes, sofern die Erwachsenen sich regelmäßig auf solche Weise verhalten, in ein Verhaltensmuster der Kinder umsetzt. In begrenztem Maße kennen wir das alle von uns selbst: statt uns gegen verletzende Menschen (oder eben: verletzende Verhältnisse) zur Wehr zu setzen, greifen wir zur Zigarette. Oder zur Schokolade. Und wenn der Tag besonders stressig war, kann es auch ein Glas Wein oder eine Flasche Bier mehr werden als sonst. Doch letzten Endes nehmen wir damit ein Leben hin, das so nicht sein sollte. Für niemanden.

Freitag, 30. Oktober 2015

Die kinderfeindliche Gesellschaft: Reklame

Schlimm genug, daß die ganze Stadt damit zugeklebt wird - überall, wo das Auge hinfällt. Wenn Werbung nicht lügen würde, würde sie nicht gebraucht. Ein ganzer Industriezweig ist damit beschäftigt, diese Lügen zu erfinden: Schönheit kommt von innen, weshalb die beworbenen Pillen eingenommen werden sollen; allerdings muß sie dann doch mittels Schminke von außen hergestellt werden (wohl wenn die Pillen nichts gewirkt haben). Frauen, die kaufen, was die Industrie will, sind "etwas Besonderes"; sie tun sich "etwas Gutes". Männer sind kernige Draufgänger und Abenteurer, wenn sie sich für das einsam durch die schönste Naturlandschaft brausende Auto entscheiden; oder für den leistungsstarken (nicht: bequemen!) Akkuschrauber. Tolle Geräte für die Küche: 3 Funktionen in einem - allerdings ohne den aufwendigen Abwasch oder den Platz (also: Rohstoffe) verschwendenden Gebrauch der Spülmaschine zu erwähnen. Wer das beworbene Getränk konsumiert, ist cool, gehört dazu - zu dem blicken alle auf. Der Verzehr einer schnöden Tiefkühlpizza versetzt einen während des Essens zum Italiener, Operngenuss inclusive. Nicht zu reden von den vielen Dingen, die angeblich einen wertvollen Beitrag zu unserer Ernährung, sprich: Gesundheit, leisten; darunter befinden sich sogar Bonbons.

Das Fernsehen nimmt bei diesem Thema, abgesehen von der Verbreitung solcher Täuschungsmanöver, eine weitere unrühmliche Rolle ein: Sogenannte Verbrauchermagazine haben sich zwar der Aufklärung verschrieben, doch zeigen nicht wenige Beiträge, daß die Grenze zwischen Information und Werbung mitunter recht fließend ist. So werden etwa für Testberichte bestimmte Produkte ausgewählt (und alle anderen finden keine Erwähnung); ebenso ist der Stil mancher Berichte fast schon als marktschreierisch zu bezeichnen. Schließlich wird einem über die Moderatorinnen ein einziges, scheinbar alternativloses Frauenbild vorgehalten: Hohe Hacken, tiefer Ausschnitt, roter Mund. Auch das eine Form von Werbung, besser: Propaganda.

Und dann so manches Regionalmagazin der dritten Fernsehprogramme: Die Moderatoren moderieren nicht, sondern sie betätigen sich als Animateure. Ihr Grinsen entspricht dem des Kasperletheaters: Liebe Kinder! Wenn sie einen Bericht ankündigen, setzen sie eine lieb-Kind-Mine auf. Statt einer sachlichen Kurzeinführung verkünden sie, was die Zuschauerin zu fühlen hat. Dann der angekündigte Beitrag: mit Sicherheit ist auch der mit säuselnder Reklamestimme unterlegt. Am Ende wieder die Moderatorin, mit der entsprechenden Grimasse im Gesicht: Ist es nicht schön, lieber Zuschauer, daß wir es zusammen gerade so schön kuschelig hatten? Wir sehen uns morgen wieder.

Nein, möchte ich brüllen: Du wirst mich auch morgen nicht sehen (können)!

Diese Moderatoren sind vermutlich inzwischen alle mit der Fernsehwerbung aufgewachsen; haben sie mit der Muttermilch eingesogen, wie es scheint. Auf allen Kanälen, egal ob Werbung oder Magazin: die durchgängige Aufforderung, für sich selbst gut und richtig zu finden, was andere einem vorgeben, anpreisen, vorzeigen. Der als mündig angesprochene Verbraucher bekommt für seine angeblich zu treffenden Entscheidungen die passenden Kriterien aufgeschwatzt. Ja, richtig - mündig, aufgeklärt, wollen wir ja alle sein!

Werbung. Werbesprüche schrauben sich in die Hirne der Kleinsten. Wenn wir sie nicht davor schützen. (Wie macht man das überhaupt?) Spätestens ab der Grundschulzeit geht das nicht mehr. Manche Mitschüler sitzen zuhause bereits vor dem Fernsehgerät, oft auch schon im Kindergartenalter; das, was ihnen zuvor Reklamesprecher eingängig angepriesen haben, klingt aus ihrem Mund wie Expertenwissen. Wer nicht fernsieht, erhält die Reklame, während er lesen lernt: eifrig versuchen ABC-Schüler, alles zu entziffern, was ihnen unter die Augen kommt. Damit bahnen sich die Botschaften der Werbeindustrie ihren Weg; Text und Illustration stellen dann Zusammenhänge her, wie sie oft gar nicht bestehen: das Auto in der ursprünglichen Landschaft (die wir bei uns längst plattgemacht und zugemüllt haben); die glücklichen Kühe auf der Weide (während die meisten Tiere ein elendes Leben bei Kunstlicht in engen Boxen im Stall verbringen); Fleisch sei "ein Stück Lebenskraft", so die Botschaft - doch das so beworbene Fleisch ist voller Medikamente und Streßhormone. Die Beispiele ließen sich unendlich fortsetzen; von den stereotypen, oft sexualisierenden Frauenbildern gar nicht zu reden.

Eltern können jetzt nur versuchen, zu erklären: daß Werbung lügt (nicht unbedingt direkt, aber mindestens durch Auslassung - für kleinere Kinder schon zu kompliziert); daß andere Produkte genauso gut sind wie das eine, als "das beste von allen" titulierte; daß "billig" nicht gleich "gut" bedeutet, aber auch "exklusiv" hierfür nichts bedeuet; daß es tatsächlich Dinge gibt, die man nicht braucht; kurz, daß man einfach nicht glauben darf, was die Werbung von sich gibt. Und daß Frauen zwar auf Werbeplakaten halbnackt sein dürfen, dieses aber noch lange kein Grund ist, in aller Öffentlichkeit in Unterwäsche herumzulaufen. Die Reklamemacher haben nur das Ziel, ihr Produkt "an den Mann zu bringen"; vor allem dann, wenn es nur mittelmäßig gut oder sogar von schlechter Qualität ist, aber auch, um sich gegen die Konkurrenz durchzusetzen, sie möglichst auszuschalten. Das sind genau die Werte, die wir unseren Kindern angeblich nicht vermitteln wollen!

Wir leben also in einer Gesellschaft, in der es Bereiche gibt, vor denen wir unsere Kinder schützen müssen (die Werbung ist nur einer davon - der Verkehr ist weit naheliegender, aber auch leider längst für wichtiger befunden als unsere Kinder). Wir leben in einer Gesellschaft, die es erforderlich macht, unseren Kindern frühzeitig beizubringen, sich von Teilen dieser Gesellschaft zu distanzieren, damit sie keinen Schaden erleiden. Wohlgemerkt, durch Menschen.

Die Werbetreibenden haben sich wohl schon lange von uns distanziert, denn sonst könnten sie ihr unanständiges Geschäft nicht betreiben. So wie jeder Mensch, der die negativen Folgen seines Handelns einfach ausblendet, sind sie ebenso von sich selbst distanziert, man könnte auch sagen: entfremdet.

Unsere Kinder sollen also lernen, einen Teil dieser Gesellschaft, in der sie aufwachsen, als nicht vertrauenswürdig zu begreifen. Aber dieser Teil ist nicht einmal gut abgegrenzt; er durchzieht den öffentlichen Raum (Reklametafeln, vor allem an Haltestellen des ÖPNV), findet sich in zuhause herumliegenden Zeitungen und Zeitschriften, und bahnt sich seinen Weg in Wohn- und Kinderzimmer mittels TV-Geräten und Computern. Wie man hört, stellen Unternehmen den finanziell chronisch klammen Schulen bereits Unterrichtsmaterial zur Verfügung, das Firmenlogo inklusive.

Kinder können sich von der Welt, in der sie leben, nicht einfach distanzieren. Einfach gesagt: Was da ist, was es gibt, was vor ihrer Nase liegt, womit sie konfrontiert werden, wird völlig zwangsläufig zum Gegenstand der Beschäftigung. Was da ist, muß auch richtig sein, zumindest wenn es von Menschen stammt, mit denen man lebt. In eine Welt hineinzuwachsen, in der so manches nicht richtig ist, ist ein absurder Gedanke. Kinder können den nicht fassen. Erwachsene sollten ihren Schutzwall der Rationalisierung dringend einmal ablegen, damit sie (wieder) merken, daß eine solche Welt für niemanden taugt.

Kinder bringen Erwachsenen eine Menge Vertrauen entgegen. Das müssen sie auch, denn nur von den Menschen vorangehender Generationen kann man lernen, wie es geht: zu leben. Was Erwachsene als gut bewerten, können Kinder nicht einfach als schlecht ansehen. Sie können überhaupt erst ab einem bestimmten Alter begreifen, was eine Lüge ist; und, daß sie von einem erwachsenen Menschen tatsächlich verarscht, manipuliert, angelogen werden. Egal ob Eltern oder Anpreiser.

Niemand möchte als jemand gelten, der andere Menschen für die eigenen Zwecke manipuliert. Jeder Mensch möchte sich selbst als anständig ansehen. Und niemand möchte manipuliert und übervorteilt werden. Doch Reklame dient nicht der Information; sie dient nicht der Befriedigung von Bedürfnissen, sondern der Erzeugung neuer Bedürfnisse. Wo sich selbst Psychologen in den Dienst dieser Manipulationsindustrie stellen, ist die Gesellschaft wahrlich auf den Hund gekommen.

Es ist für jeden Menschen ein Schock zu merken, daß man von jemandem angelogen wurde, dem man vertraut hat. Auch für uns Erwachsene ist es eine Zumutung, in einer Gesellschaft zu leben, in der wir jederzeit auf der Hut sein müssen; daß wir keinen Konsens darüber haben, daß wenigstens Kinder nicht alles, was von anderen Menschen kommt, in Frage stellen müssen, ist ein richtig übles Armutszeugnis.

(Übrigens: im Netz wird das Thema lügende Kinder durchweg als Problem gesehen, während das Belügen von Kindern, so es überhaupt auftaucht, fast ausschließlich gerechtfertigt wird. Auch eine Art Armutszeugnis. Zur Ergänzung: https://www.sein.de/eltern-luegen/

Freitag, 19. Juni 2015

Looking for Independence

One of the concepts our society is most concerned with is freedom. But I think our greatest fear is not about being enslaved (which, at the moment, does not seem to be any possible threat), but about being dependent; as long as we depend on other people for our basic needs, we fear being blackmailed into doing things we don't want to do. From childhood on, we struggle for our (personal) independence. In the first place, our parents intrude in our life all the time: they tell us when to get up, what clothes to put on, where to go (and especially where not to go), whom to talk to (and whom not to talk to); later on we are made to go to school, no matter if we want to; we are also told when to go out, and what time we have to get back; we don't have a say in most things concerning our life while growing up.
That's what prepares us for the world of "earning our own money." Because then we don't have to listen to our parents anymore. We can move out; we can meet any person we want to, hang out with everybody our parents warned us against; we can eat what we want to; we can follow any career or do any job we like (or don't do any work at all, if we want to); all has become our own decision.
I think that's what being independent really is about: making one's own decisions. But by reaching majority and earning our own money, we certainly have not gained much - while struggling against our parents for independence we forgot to look at the whole picture: There really is no independence for nobody in our society, not even for the people at the top who are said to be really mighty.

Most of us of course realize that our freedom here is only relative. Instead of being dependent on our parents, we are now dependent on our employers. We can choose the profession we'll be trained for and practise, but sometimes there are not enough jobs and we have to take a job in another field; we also depend on a market. Some of us don't manage to get a job at all, either because of an illness or a lack of skill or education, or because there are not enough jobs for everybody in the country (technical rationalization has done a "good job," for that matter); they are at least some time or partially dependent on welfare programs.
So, if we have enough money to spend on not only our basic needs, but some things beyond, we are free to consume. We can decide if we buy books or new clothes, a TV-Set or a new computer; if having a relatively high wage at our disposal, we could go on a journey on our holidays or save our money for buying an appartment, or what else comes to mind. (We can even go to a bank and apply for credit.) Our work is nothing we can decide much about, at least this goes for most of us. There are professions where people are relatively free to decide, but usually there is a client who has certain ideas we should match. We cannot decide when to start working in the morning (if it is in the morning and not at night) and how many hours we work; the employer does this. He or she often even tells us how much time we are allowed to take for a given task, no matter if that puts us into a lot of stress. Strangely enough, we are often forced into a dress code or even professional clothing (think e.g. of stewardesses); we are thus made to represent a company where we usually don't have a say in any decisions concerning the business - just like at home, isn't it?
Our independence is restricted to the time when we don't have to work.

Economically seen, there is no independence. Employers need employees as much as the other way around. Because there are more people in need of work than jobs, employers at least in some sectors can determine wages and other working conditions, unless there is no strong union behind the workers or a good societal system that lets people choose if they'd rather live on welfare or let themselves be exploited. (To my knowledge, all systems of s. c. civilization by law make people do what employers want.) On the other side, employers can only pay a kind of wages that can be gained from a market (if they always do pay what's possible or nurture a financial market as well, is another matter.) Whatever, a high division of labor means, most of our basic needs we can only care for by trading; usually we use money for the purpose. Communities and societies need employers for creating jobs as well as workers for paying taxes; this is the way communal tasks are taken care of. Everybody depends of everybody else for his life (historically, this has never been the case in such a high degree as nowadays - at the contrary, s. c. primitive people were perfectly able to care for their material needs without being dependent on anybody else, except for the old; they shared life and material goods because of emotional and psychological needs, not by force. But this is another subject).
So any freedom we gain is restricted to our personal life.
Most of us find themselves in working conditions they would never choose if they were free to do so, although we may not realize this from the beginning. From school on we are forced and trained to focus on using either our brain or our body. When we choose a profession, we can only work on a part of a process, never the whole: we may design or plan something (furniture, a house, a street, a book, or any device for the household), but we won't construct it. Or, we will construct or build or work on something another one has planned; usually nobody builds the whole thing, just a (small) part. Even the one who planned something usually is instructed to do so by another person (and what he or she plans, is always planned for someone else). We use only a few of our faculties; the big rest becomes stunted, atrophies. Few of us have the opportunity of a job where creativity is asked for; mostly the creative part of the process is done by somebody else. Our spare time may be used up by family matters, but if there is any time for creativity at all, we may not be able to use it: Try working in a factory at the production level or as a cashier in a supermarket (to name just two examples), after a month or so there is not much creativity left; the working conditions in many jobs do not evoke creativity at all but use up all the energy we once had for it.
We overstrain our bodies (as construction or manual workers), or we don't use them at all, sitting the whole day in front of a computer in an office (which is, of course, another way of overstraining our bodies, as well as overtaxing our eyes). After having done so for decades, our bodies start to resign - headache, backache, slipped disc, and our joints cause problems. Not to mention all the boredom that comes from working conditions that make almost everything into a process of routine - which may, in some cases, result in depression or other psychological problems. All because of the one-sidedness in our professional life. Most of us are not happy but rationalize this life - things are how they are, and without a division of labor efficiency would go down so that everything gets more expensive. Besides, there is always someone else in a lot worse conditions, aren't we lucky!

Why do we submit to this?

Most people would answer this by pointing out our dependence on these jobs for being able to meet our basic needs like food, shelter, and clothing. I think this is just another rationalization; nobody could force us into unfavorite working conditions if we just said NO. The problem here is, there usually is not really a WE, meaning people are not solidary to one another (which goes, by the way, for any government that drops people financially when they won't submit; we should not take this as an example for our own conduct). There is a lot of fear behind this; who guarantees us that the other ones will stick to their "no" (so that the employer would not find anyone to work under e.g. unhealthy conditions)? At least, from school on (sometimes even earlier) we are trained to be competitive, we are educated into a system with places for winners and losers. The program seems to work indeed really good, because not only teenagers, but already children humilliate other children by labeling them as losers: just because someone takes more time in thinking or understanding than others, someone hasn't got the latest electronic device, or her clothes don't match what the average girl finds suitable, etc. It is, therefore, education in the first place that hinders us from acting out of solidarity - instead, we are trained to do anything not to become "a loser" in somebody else's eyes.
And this goes not only for our institutional education. Often we do not experience a really loving, caring, and acknowledging atmosphere at home. This way, we grow up with some, or maybe a whole lot of deficits; we may feel we are not good enough, we have to try harder, we are not loveable, or maybe even stupid. Being put down by our parents, we may not be able to develop faculties the way we could do in a loving and nurturing environment. People are often not aware of that; they may think their parents did really okay when this is indeed not the case. Some are beaten by their parents, but may even rationalize it ("I was just a really wild boy, so I can understand my dad losing his temper"); for others, the hurting their parents caused them is not that easy to see, because humilliating acts were more subtle, psychological ones (and so the experience was swallowed down). Too many people need a lifetime for remembering and working this out through a psychotherapeutic process; and even more can't see or do not want to realize themselves being in need of help - they live through their tensions by blaming others for any bad incidents, acting resentfully, or even using violence against others. And, what may be worse, they are so dependent on finally getting some kind of acknowledgment and appreciation that they are willing to do anything for it - if the usual competition doesn't do it, mobbing will.

The decisive point is the following: The needs we don't get fulfilled as children may stick with us a long time. Those of us with low self-esteem may not be able to defend themselves against overcharging employers, because they always hope for being acknowledged and valued in the long run; just to make one example. That means, we may have moved out of our childhood home, but we are not emotionally independent. At the contrary, we search for people that fill the lacks our parents have caused. And, usually, we are not aware of that; so that it is easy for others to get from us what they want, without giving much in return (and leaving us again with a feeling of emptiness). For many people, this is a regular experience when it comes to friendship and/or love; but it goes for jobs and employers, too, as well as for the colleagues we don't get solidarity from, although they seemed so nice at first.

To sum up: (1) There is no economical independence; we are all interdependent (even welfare-receivers consume what other people produce). Besides, this goes for everybody and everything on earth. (2) Emotional needs not being fulfilled in childhood will remain in adulthood, usually well hidden behind rationalizations, resentment, twisted thinking, and the like. Any emotional setting we don't know about makes us vulnerable; we are easily brought to submit to conditions that damage our integrity and creativity even further.

Independence in our life is important concerning our emotions. Because only then we have an inner freedom to really decide - what we do and don't want, how we want to live, and how we connect to other people in the first place. Feeling dependent, at least, is a result of the subconscious fear we have grown that what we emotionally need is being withhold from us. Without being dependent on what anybody else thinks about us or what we should do, we may find out what we really need with regard to other people. Only then we are not confined by the necessity to set our material needs as priority, and to push other people away: instead of being competitive (and lonesome), we could live in harmony with ourselves and solidarity with everybody else.
Of course, this does not seem to go along with capitalism, where labor is done for making money, not for providing for the needs of people. But capitalism with all its negative effects like exploitation, greed, destroyment of social relations and natural environment, is no longer an option to live with; it does us no good. For any change, we need to realize how we are (personally) affected by this system, and how we ourselves constantly support it by focusing on our material needs at the cost of our social and emotional needs we try hard not to recognize: we have been hurt because of them almost from the beginning of our life. Our children should not be forced into this kind of life like we were. It really is our choice to go on like before or finally break the chain.

Remember: When most people no longer compete one another into bad working conditions, the rich and mighty cannot blackmail us any longer; they'd rather start changing the system than doing all the unacceptable work themselves.


(For further reading I recommend any book from Arno Gruen, see literature.)

Montag, 6. April 2015

Unser Umgang mit Tieren

Wie wir mit Tieren umgehen, ist nicht erst in letzter Zeit problematisiert worden; aber es scheint, daß gewisse bisherige Selbstverständlichkeiten zunehmend an Legitimation verlieren: Tierversuche für Kosmetik sind inzwischen verboten worden (nicht jedoch für Reinigungsmittel & Arzneien), ebenso die Käfighaltung von Legehennen, und viele Menschen stellen inzwischen die Massentierhaltung in Frage.

Was bestimmt unseren Umgang mit Tieren? Gründe, auf eine bestimmte Weise mit ihnen umzugehen, gibt es viele: In der Medizin sind es die Erforschung von Krankheiten sowie deren Therapien; in der Landwirtschaft die Ernährung; zuhause ist es das Bedürfnis, mit einem Tier zu leben (was auch immer das im einzelnen bedeutet). Zoos dienen in erster Linie dem Ergötzen des Publikums; den Artenschutz haben sie sich erst in neuerer Zeit auf die Fahne geschrieben (der Sinn läßt sich bezweifeln). In jedem Fall besteht unser Umgang mit Tieren darin, daß wir sie für die Befriedigung unserer Bedürfnisse benutzen (nur in der Landwirtschaft wird ehrlicherweise von "Nutztieren" gesprochen). Es gibt viele Kritiker dieser Haltung; manche gehen so weit, daß sie sämtliche von Tieren stammende Produkte ablehnen. Ob Schuhe aus Kunststoffen die bessere Alternative v.a. in ökologischer Hinsicht sind, kann ich nicht beurteilen.

Dürfen wir Tiere töten? - Was heißt hier "dürfen"? Gibt es jemanden, der uns das verbieten könnte? Aus christlicher Sicht (und derjenigen einiger anderer Religionen) auf jeden Fall, doch da bereits in unserer Gesellschaft viele Menschen leben, die sich als "Atheisten" bezeichnen würden, reicht eine religiöse Antwort natürlich nicht aus. (Soweit ich sehe, dürfen Christen Tiere töten.) Tatsächlich wird das Töten von Tieren bei uns gesetzlich geregelt; wer ein Tier aus den im Tierschutzgesetz genannten Gründen töten will, braucht dafür eine behördliche Erlaubnis. Die Frage, wie wir als Gesellschaft mit Tieren umgehen wollen, gilt solange als entschieden, bis die diesbezüglichen Gesetze geändert werden. Wer auch immer diese Gesetze als verbesserungswürdig (oder auch als zu einschränkend) ansieht, braucht dafür Argumente, die zunächst eine Diskussion anstoßen können, dann aber auch dazu geeignet sind, möglichst viele Menschen zur Zustimmung zu bewegen.

Könnten wir leben, ohne Tiere zu töten? Ich bin mir nicht sicher. Selbst Vegetarierin, verzichte ich ungern auf Käse; nicht unbedingt wegen des Geschmacks, sondern weil es so aussieht, als würde man ohne den Verzehr von Milchprodukten zumindest nicht genug B-Vitamine zu sich nehmen. Um das Halten von Tieren kämen wir also nicht herum. (Sollte ich Recht haben - wenn nicht, erledigt sich natürlich dieser Teil meiner Argumentation. Auch dann, wenn man die Einnahme künstlich hergestellter Vitamine für in Ordnung befindet.)

Die Haltung von Tieren, so wie sie überwiegend geschieht, ist ohne Respekt - das läßt sich für die Massentierhaltung ganz klar sagen. Wenn man manche Bilder sieht, versteht man auch, daß einige Menschen Vergleiche zu Konzentrationslagern ziehen (auch wenn man diese Auffassung nicht teilen muß). Es gibt hier wirklich unglaublich entwürdigende Zustände, entwürdigend für Tiere und Halter.
Aber wo ist die Grenze? Das idyllische Wunschbild vieler Menschen besteht in einer Tierhaltung, die beispielsweise zu "glücklichen Kühen" führt. Wann ist eine Kuh glücklich? - Möglicherweise dann, wenn sie eine große Wiese zur Verfügung hat, auf der sie herumlaufen kann, saftige Kräuter zum Fressen findet, Trinkwasser, Schatten und einen Ort zum Schutz suchen. Es ist allerdings damit zu rechnen, daß es für unseren Milch-, Butter- und Käsebedarf nicht genügend Raum gibt, um alle Kühe glücklich zu halten. Das würde heißen, daß wir für eine Tierhaltung, die von Respekt getragen ist, schlicht zu viele Menschen sind. Wenn wir also Tiere nicht respektlos behandeln möchten, sollten wir etwas gegen unsere Überbevölkerung unternehmen. (Das ist weder zynisch noch sarkastisch gemeint!) Wenn wir Tiere auch zum Fleischessen brauchen, wird der Flächenverbrauch noch größer.
Doch selbst wenn wir genügend Platz für das Halten von "glücklichen" Kühen oder Schweinen hätten, fände ich das Töten problematisch: Das Schwein, das getötet werden soll, kann sich dem nicht entziehen. Ich sehe es als respektlos an, ein Tier zu töten, das von vornherein keine Chance hat, dem Mörder zu entkommen (so daß der heutige "Mörder" wieder zum Jäger werden müßte, dies allerdings mit fairen Waffen, damit sich in diesem Sinne von "Respekt" reden ließe). Üblicherweise werden auch biologisch gehaltene Schweine so gehalten, daß man sich ihrer nur zu bedienen braucht. Genau das ist es, was mir aufstößt - Tiere werden gehalten, um sie zur beliebigen Verfügung zu haben. In menschlichen Kontexten würde man so etwas Übergriff oder Gewalt nennen. Ich sehe nicht, wieso das für Tiere nicht gelten sollte, wenn man die Prämisse hat, mit ihnen respektvoll umzugehen. Es ist wohl unschwer zu sehen, daß das für Tierhaltung überhaupt gilt: Tiere werden gezeugt, um uns zur Verfügung zu stehen. Sie dürfen sich nicht einmal von selbst vermehren, und das ist ganz klar eine Schädigung ihrer Autonomie; wie jede Art von Manipulation.

Daraus folgt, daß ein respektvoller Umgang mit Tieren bedeuten würde, sie gar nicht erst zu halten. Respekt würde heißen, Tiere so leben zu lassen, wie sie dies ohne unseren Eingriff tun würden. Sie zu töten, könnte man unter solchen Umständen als respektvoll ansehen, sofern die Art der Waffen dem Tier eine Chance lassen. Der Spruch "Wer essen will, muß arbeiten" hat an dieser Stelle seinen ursprünglichen Sinn. Wenn töten keine Mühe macht, kann es nur daneben sein. Wie gesagt, wenn man mit Respekt handeln will.

Für mich ist die Ausübung von Respekt direkt an die Autonomie des Anderen geknüpft: Respekt als Haltung sowie im Handeln gibt es nur dort, wo der Andere nicht in seiner Autonomie geschädigt wird. Direkt übersetzt bedeutet "Autonomie" in etwa "Selbstbestimmung". Die Schädigung der Autonomie von Tieren beginnt demnach mit der Domestizierung und Züchtung. Wenn also ein Halter von Tieren, beispielsweise der Schafhirt, sich im direkten Umgang mit seinen Schafen als respektvoll erweist, so ist doch die Situation insgesamt bereits durch Respektlosigkeit zustande gekommen. Daß jede neu geborene Generation von Schafen "es nicht anders kennt", tut hierbei nichts zur Sache.

Man kann das alles richtig finden (ich tue das nicht). Man kann vermutlich erst recht dafür argumentieren, daß es nicht (mehr) anders geht. Aber den in unserer Gesellschaft praktizierten Umgang mit Tieren kann man nicht respektvoll nennen.

Tiere werden benutzt, ausgebeutet, gequält, überhaupt erst ins Leben gebracht, damit Menschen -- ja was eigentlich? Warum, wozu? Jetzt wird es interessant und eigentlich unangenehm:
Zählen wir unseren Umgang auf: Massentierhaltung (mit all ihren ekelhaften "Begleit"erscheinungen), Tierversuche für die Forschung, sog. Streichelzoos, Haltung in Zoologischen Gärten und Aquarien, Dressur für sportliche Zwecke und Unterhaltung im Zirkus, Haustierhaltung; im indirekten Umgang bekommen sie durch uns allerlei Gifte zu schlucken (Bienen, Amphibien), werden durch Straßen in ihrem Leben bedroht, und in aller Regel sieht es niemand als Problem an, ihre Lebensräume immer weiter zu beschneiden. Und nur zur Ergänzung: Wie manche Zeitgenossen so ganz nebenbei Spinnen zertreten, aber auch Insekten mitunter haßerfüllt töten, ist nur der direkte Ausdruck einer weit verbreiteten Respektlosigkeit gegenüber allem, was nicht Mensch ist (und sich nicht nur im Falle von Spinnen und Insekten prima als Projektionsobjekt für ganz anderswo erworbene Ängste eignet).

Sehr viele Tiere dienen der Ernährung. Die ursprüngliche Methode der Jagd, die mir aus o.g. Gründen die einzig respektvolle Weise dafür zu sein scheint, kann wohl nur als undurchführbar gelten: Zu viele Menschen stehen zu wenig (Wild-)Tieren gegenüber. Es scheint, als kämen wir um die Massentierhaltung nicht herum, selbst wenn wir es schafften, den Fleischkonsum so weit herunterzuschrauben, daß nach sog. "artgerechten" Haltungsbedingungen gewirtschaftet werden könnte. (Für mich ist allerdings der Ausdruck "artgerecht" etwas, das der Tierhaltung als solcher generell widerspricht. - Die Gefangenschaft eines Tieres als "artgerecht" zu bezeichnen ist absurd.)

Milchkühe sind hochgezüchtet, um viel Milch zu geben. Abgesehen von der körperlichen Belastung durch volle Euter, hat keine Kuh Milch, wenn sie nicht geboren hat. Die Kälbchen werden dann mit Ersatzmilch gefüttert, damit die Milch, die eigentlich für sie bestimmt ist, von Menschen getrunken bzw. zu Käse etc. verarbeitet werden kann. Das nenne ich Ausbeutung! Die Quälerei besteht dabei nicht nur darin, daß eine Milchkuh jedes Jahr eine Schwangerschaft zu verkraften hat, sondern auch darin, daß sie und ihr Kalb schnell voneinander getrennt werden: emotionale Folter.

Zur Sicherstellung der Fleischversorgung durch Tierhaltung gehört übrigens die Bekämpfung aller Tiere, für die sich daraus eine günstige Gelegenheit zur eigenen Nahrungsversorgung ergibt. (Und die wir, wohl weil sie sich von uns nicht benutzen lassen, als Wildtiere oder gleich als Raubtiere bezeichnen - wer wird hier eigentlich beraubt?) Nicht zuletzt deshalb war der Wolf lange ausgerottet. Doch inzwischen haben wir vergessen, daß er kein scheues Tier ist - die Freude darüber, daß er wieder einwandert, ist daher durchaus ambivalent. Natürlich bedient sich der Wolf an Schafherden, und auch Menschen werden nicht unbedingt verschont (wenn auch selten angefallen). Das Problem liegt wohl darin, daß wir aus der Schwarz-Weiß-Haltung nicht herauskommen: Ein Tier ist danach entweder schützenswert, oder es darf bejagt werden. Doch einem Tier wie dem Wolf muß man beständig die Grenzen weisen; wenn er weiß, daß er uns nicht fürchten muß, bleibt er uns nicht fern. An dieser Stelle wird es vermutlich nicht reichen, diese Aufgabe an Jäger zu delegieren - jeder am Rand einer Siedlung gelegene Hof muß seine Grenzen klar machen. Nur: wenn alle Betroffenen Wölfe notfalls töten, ist ihre erneute Ausrottung vermutlich besiegelt. Auch hier müssen wir wohl von menschlicher Übervölkerung sprechen, wenn wir jedenfalls Wölfen nicht dasselbe Recht auf Leben absprechen wollen, das wir Menschen in Anspruch nehmen.

Die Forschung ist ein etwas umfangreicheres Thema. Das Benutzen von Tieren in der Forschung bezüglich Kosmetika ist inzwischen verboten; das heißt aber nicht, daß z.B. Kaninchen keine ätzende Flüssigkeiten ins Auge getropft würden, denn das Verbot erstreckt sich z.B. nicht auf Reinigungsmittel. Und ebenso für die Erfindung von Medikamenten sowie den Test auf Wirkungen/Nebenwirkungen ist solche Quälerei von Tieren nach wie vor erlaubt, trotz aller Bedenken bezüglich der Übertragbarkeit der Ergebnisse auf den Menschen: Die Menge an Versuchstieren scheint auch ohne "Kosmetikversuche" weiter anzusteigen.

Die eigentlich interessante Frage in diesem Zusammenhang ist jedoch folgende: Wie kann ein Mensch so etwas tun? Vor vielen Jahren las ich einmal in einem Bericht über die Forschung an Menschenaffen, daß den Tieren die Stimmbänder entfernt wurden, um sie am Schreien zu hindern. Offensichtlich war bei den beteiligten "Forschern" noch so viel Gespür (bzw. Bewußtheit) vorhanden, daß sie durch den Protest (die Schmerzäußerung) der Tiere ihre Experimente nicht hätten durchführen können. Die Konsequenz hätte selbstverständlich sein müssen, die Experimente nicht durchzuführen. Statt dessen haben die Forscher jedoch dafür gesorgt, daß die Tiere in ihnen kein Mitgefühl hervorrufen konnten. Ich gehe davon aus, daß ich nicht dafür argumentieren muß, daß es sich hierbei um äußerste Perversion handelt.
Aber auch wenn man ein "Labortier" liebevoll füttert und dafür sorgt, daß es durch die Experimente nicht "unnötig" Schmerzen erleidet, hat die Sache mit Respekt nichts zu tun. Man benutzt ein anderes Lebewesen, bringt es auf die Welt, nur um es (wie in der Krebsforschung) krank zu machen. Der qualvolle Tod wird in der Regel wohl vermieden, indem man das Tier, wie es so schön euphemistisch heißt, einschläfert. Man möchte nicht fühlen, was man dem Tier antut.
Gerechtfertigt wird das ganze damit, daß man auf diese Weise Menschenleben rettet, heißt es jedenfalls. Ob das tatsächlich der Fall ist, kann ich nicht beurteilen; die Übertragbarkeit der Ergebnisse von Tierversuchen auf Menschen kann mit Recht angezweifelt werden, und ob wir ohne Tierversuche nicht etwas Anderes gefunden hätten, oder einen anderen Weg gegangen wären, wissen wir nicht. Gehen wir davon aus, daß es sich tatsächlich so verhält, wie behauptet wird: Handelt es sich tatsächlich um einen legitimen Grund dafür, Tiere zu benutzen?
Ich denke, nein. Ich finde es sogar erbärmlich. Denn dahinter steckt eine sehr komplexe Unfähigkeit (sowie natürlich der Unwille), die Bedingungen, denen Menschen in ihrem Leben auf der Erde ausgesetzt sind, zu akzeptieren. Eine dieser Bedingungen heißt schlicht und einfach: Irgendwann wird jeder Mensch sterben. Unsere Gesellschaft lebt jedoch nach der Devise, dies möglichst lange verhindern zu müssen (in der Regel auch noch unabhängig von der Qualität dieses verlängerten Lebens, doch das ist ein anderes Thema). Warum eigentlich?
Ich höre die Empörung: Es ist doch selbstverständlich, daß man nicht sterben will! Oder jedenfalls nicht zu früh, also wenn man noch jung ist, oder jedenfalls einigermaßen weit entfernt von der statistischen Lebenswahrscheinlichkeit. Allerdings ist der Tod in unserer Gesellschaft tabuisiert; wir lernen nicht, mit ihm umzugehen. Daher sollten wir mit der Empörung nicht zu schnell sein. Solange wir den Tod aus unserem Leben ausgrenzen, haben wir eigentlich keine Rechtfertigung dafür, andere Lebewesen dazu zu benutzen, ihn hinauszuzögern. Oder auch nur ohne Krankheit zu leben. Nebenbei gesagt: wir mögen in vielen Fällen keinen direkten Zusammenhang nachweisen können, doch kann es nicht strittig sein, daß die durch unsere Lebensweise bedingte Belastung unserer Atemluft, unseres Trinkwassers und des Essens mit problematischen Stoffen uns zunehmend krank macht. Müssen wir wirklich wissen, wie genau das funktioniert, um es möglichst schnell zu reduzieren?!

Was geht es ein Tier an, wenn wir die Beschränkungen unseres Lebens nicht aushalten?

Die Argumentation läßt sich umdrehen, um von den Extremen (Tierversuche - keine Tierversuche) wegzukommen. Ein kranker Mensch möchte natürlich gesund werden. Ein Tier dafür zu benutzen, ist keine einfache Angelegenheit. Jedes Lebewesen wehrt sich, wenn es zu etwas gezwungen werden soll, d.h. wenn ihm die eigene Entscheidung über sein Leben genommen wird. Jedes Tier, das man greifen möchte (kennt jeder von Haustieren), versucht instinktiv, sich in Sicherheit zu bringen. Jeder Mensch spürt das. Wenn sich ein Kind aus meiner Umarmung reißt, lasse ich automatisch los - wenn ich es nicht tue, bin ich mir immerhin bewußt, daß ich gegen es Gewalt ausübe. Bei Tieren verhält sich das nicht anders; um ein Tier, das versucht, sich meinem Griff zu entwinden, weiter festzuhalten, muß ich den Impuls, es loszulassen, aktiv unterbinden. Wenn es dabei quiekt, muß ich gegen mein Mitgefühl handeln (was sachlich geboten sein kann, wenn es z.B. darum geht, einem verletzten (Haus-)Tier zu helfen).
Für mich ist beim Umgang mit Tieren genau dieses entscheidend: Es muß das eigene Mitgefühl mit dem Tier jederzeit präsent bleiben. Wenn ich ein Tier zu meinem Nutzen quälen oder töten will, muß ich lernen, das auszuhalten. Noch mal: Es gilt, das auszuhalten. Forscher, die Tieren Schmerzmittel verabreichen, müssen den Schmerz des Tieres nicht aushalten. Sie können sich also die respektlose Handlung schmackhaft machen, indem sie die Wahrnehmung des Schmerzes einfach ausschalten. Und so können sie die Anzahl der Tiere, die sie in ihren Experimenten "verarbeiten", beliebig ausdehnen. Ein ganzes Forscherleben lang. (Ich bezweifle, daß dieser menschlichen Verrohung mit Ethik beizukommen ist.)

Mit solchen Gefühlen bewußt umzugehen, anstatt für ihre Verdrängung zu sorgen, würde den Umfang quälerischen Verhaltens sicher immens verringern (und Medizin und Wissenschaft dazu bringen, auf andere Verfahren zur Gewinnung von Erkenntnis zu setzen). Denn einer großen Anzahl Tieren derart zu begegnen, könnte kein Mensch verarbeiten, erst recht nicht im Dauerbetrieb (man denke hierbei auch an die Fließband-Tötung in Schlachthöfen). Insofern wir Tiere für unser Leben und Überleben nutzen wollen oder müssen, stellt sich also nicht nur die Frage des Verhältnisses zu ihnen bzw. welche Haltung wir ihnen gegenüber einnehmen (in Bezug auf die Massentierhaltung handelt es sich sicherlich nicht um eine Haltung, die den anderen noch als Lebewesen sieht), sondern es ist auch die Frage nach unserem Selbstverhältnis aufgeworfen; denn um bestimmte "Schweinereien" tun zu können, müssen wir uns gefühllos halten. Doch was macht das mit uns? Und hat das nicht letzten Endes auch Auswirkungen auf den Umgang nicht nur mit uns selbst, sondern ebenfalls gegenüber anderen Menschen? Wer sich im Umgang mit Tieren in Mitgefühllosigkeit einübt - kann man von diesem ernsthaft annehmen, er könne dieses Mitgefühl Menschen gegenüber plötzlich wieder einnehmen?

Niemand kann ernsthaft bestreiten, daß Gefangenschaft für ein Tier Gefangenschaft bedeutet. Ein Tier, das nicht rennen kann; das das übliche Sozialverhalten unter Artgenossen nicht einüben kann; das sich nicht aus eigenem Antrieb fortpflanzen kann; das den Wind, die Sonne, den Regen nicht spüren kann, ja wohl niemals zu Gesicht bekommt: Das ist eine Schande für die angeblich so zivilisierte Welt. Die wahren Barbaren, sie leben heute, in Form der Zivilisation; nicht in grauer Vorzeit und auch nicht in Form von uns so genannten Naturvölkern.

Samstag, 28. Februar 2015

Gewalt durch Sprache: Der Mißbrauch des Ausdrucks "Mißbrauch"

Unter "Mißbrauch" wird ganz allgemein "falscher Gebrauch" oder auch "Zweckentfremdung" einer Sache verstanden. Daher sollte dieser Ausdruck nicht auf Menschen bezogen werden; doch leider wird er dies sogar in einschlägigen professionellen Bereichen. Der Duden geht sogar so weit, den Ausdruck "Vergewaltigung" als Synonym zu "Mißbrauch" zu nennen. Ich sehe dies als eine Form der Gewaltausübung durch Sprache an, was ich im weiteren erläutern möchte.

Wörter erzeugen bewußte oder unbewußte Vorstellungen. Das leuchtet sofort ein, wenn man an die grundlegend geschlechtsspezifischen Ausdrücke "Mann" und "Frau" denkt; wer im Gespräch über jemanden spricht, der nicht anwesend ist, und diesen als "Mann" bezeichnet, erzeugt beim Gesprächs-partner natürlich eine andere Vorstellung, als wenn er von "Frau" redet. Wir sind es gewohnt, einer Vorstellung von einem Menschen sofort ein Geschlecht zuzuordnen, auch wenn das üblicherweise nicht bemerkt wird. Doch wenn wir von jemandem reden hören und lediglich ein Name genannt wird, der uns über das Geschlecht keinen Aufschluß gibt, sind wir normalerweise irritiert und fragen nach.
Das Wort "Bäcker" erzeugt eine weitere Vorstellung - in diesem Falle bezogen auf die Tätigkeit, die von dem so Bezeichneten ausgeübt wird: Ein Mensch mit langer weißer Schürze, eventuell mit Mütze. Der Koch mit Kochmütze. Der Schlachter mit grau gestreifter Schürze. Der Politiker mit Anzug und Schlips. Und jeweils ein Mann (DER Mensch!).
Je weiter sich ein Ausdruck von den Erfahrungen der Hörerinnen entfernt, desto unklarer mag deren Vorstellung werden, aber desto mehr Raum gibt es auch für Vorurteile - so wie der Ausdruck "Professor" die "Zerstreutheit" hervorrufen mag, oder der "Obdachlose" die Vorstellung eines mit Lumpen bekleideten, unrasierten Menschen. Unbewußt bleibt dabei, daß die Vorstellung auch anders hätte ausfallen können; aber hat irgendjemand meiner LeserInnen eben gemerkt, daß ich selbstverständlich von der Vorstellung eines männlichen Obdachlosen ausgegangen bin?

Das ist etwas, was unterschwellig passiert - daß meistens tatsächlich, zumindest in den Fußgängerzonen der großen Städte, männliche Obdachlose zu sehen sind, beeinflußt unbemerkt unsere Auffassung davon, welches Geschlecht gemeint ist, wenn man von "Obdachlosen" redet. Damit wird aber die Auffassung, wonach in der männlichen Pluralform die weibliche mitgemeint ist, weshalb hier sprachlich nichts geändert werden müßte, unhaltbar. Denn das "Mitmeinen" mag die Absicht sein, aufgrund typischer geschlechtsspezifischer Zuteilungen wird es in den meisten Fällen nicht so erlebt. Und wer spricht, sollte vor allem daran interessiert sein, verstanden zu werden.

Das Wort "Mißbrauch" funktioniert nur in eine Richtung, genauso wie "Gebrauch": Man gebraucht etwas, für das selbst keine Handlungsfähigkeit in Betracht kommt, sondern von dem von vornherein klar ist, daß es in meinem Sinne funktioniert, und das heißt: im Rahmen des Zweckes, für den es geschaffen wurde. Es kann von mir nicht "erwarten", daß ich etwas anderes tue, als es zu benutzen. Aber natürlich kann ich es "zeckentfremden", also mißbräuchlich verwenden, mißbrauchen. Das kann man nicht auf Menschen übertragen. Indem man davon redet, ein Mensch sei mißbraucht worden, verläßt man also die Perspektive des Täters überhaupt nicht, man bestätigt im Gegenteil, daß das Opfer dazu da ist, benutzt zu werden - nur hätte es der Täter doch bitte richtig benutzen sollen! Eine Sprachgewohnheit kann man nicht einfach mit dem Hinweis aushebeln, in einem bestimmten Kontext sei das ganze anders gemeint.

Daß das Opfer gar nicht erst zum Opfer hätte werden dürfen, kommt nicht vor. Daß ihm oder ihr Respekt und also Anerkennung als ein gleichwertiges Gegenüber gebührt, ist in dieser Redeweise verschwunden. Im Ausdruck "Mißbrauch" ist es einfach als ein Gegenstand benannt, über den verfügt werden kann. Viele Gewaltopfer machen tatsächlich die Erfahrung, daß diejenigen, die für ihre Hilfe da sind, immer schon wissen, wie die Hilfe aussieht; das Opfer, das weiß, wie es ihm geht und seine Situation und Hilfebedürfnisse kennt, kommt in vielen Konzepten nicht vor. Schließlich: es heißt tatsächlich "das" Opfer; löblich, daß dieser Artikel immerhin nahelegt, daß Menschen beider Geschlechter Opfer werden können - andererseits ist der sächliche Artikel nicht gerade angemessen. Wir stellen sächlich artikuliertes eben nicht als etwas selbständig Handelndes vor.

Es ist noch nicht lange her, daß man überhaupt angefangen hat, den Opfern einer sexualisierten Gewalthandlung zu glauben; insbesondere, wenn es sich um Kinder handelt. Für Menschen, deren Gewalterfahrung in der Kindheit liegt und die sich mühsam als Erwachsene daran zu erinnern suchen, ist es unerläßlich, dem Erlebten endlich eine Sprache geben zu können - was insbesondere deshalb schwer ist, weil Gewalt gegen Kinder, insbesondere wenn sie sexualisiert ist, in unserer Gesellschaft lange verleugnet wurde. Man muß sich also über den unpassenden Gebrauch des Wortes "Mißbrauch" nicht wundern, der Prozeß der gesellschaftlichen Bewußtwerdung bezüglich dieses abscheulichen Verbrechens ist längst nicht abgeschlossen. Heben wir ihn auf die nächste Stufe, indem wir Menschen nicht länger die Eigenständigkeit absprechen, nur weil sie zu Opfern eines Verbrechens geworden sind.
Versuchen wir, die Anwendung des Ausdrucks "Mißbrauch" auf die Opfer von Gewalt zu beenden. Der Täter mißbraucht nicht das Opfer, sondern seine/ihre Macht; und zwar dazu, dem Opfer Gewalt anzutun. Das sollte auch genau so benannt werden.