Samstag, 28. Februar 2015

Gewalt durch Sprache: Der Mißbrauch des Ausdrucks "Mißbrauch"

Unter "Mißbrauch" wird ganz allgemein "falscher Gebrauch" oder auch "Zweckentfremdung" einer Sache verstanden. Daher sollte dieser Ausdruck nicht auf Menschen bezogen werden; doch leider wird er dies sogar in einschlägigen professionellen Bereichen. Der Duden geht sogar so weit, den Ausdruck "Vergewaltigung" als Synonym zu "Mißbrauch" zu nennen. Ich sehe dies als eine Form der Gewaltausübung durch Sprache an, was ich im weiteren erläutern möchte.

Wörter erzeugen bewußte oder unbewußte Vorstellungen. Das leuchtet sofort ein, wenn man an die grundlegend geschlechtsspezifischen Ausdrücke "Mann" und "Frau" denkt; wer im Gespräch über jemanden spricht, der nicht anwesend ist, und diesen als "Mann" bezeichnet, erzeugt beim Gesprächs-partner natürlich eine andere Vorstellung, als wenn er von "Frau" redet. Wir sind es gewohnt, einer Vorstellung von einem Menschen sofort ein Geschlecht zuzuordnen, auch wenn das üblicherweise nicht bemerkt wird. Doch wenn wir von jemandem reden hören und lediglich ein Name genannt wird, der uns über das Geschlecht keinen Aufschluß gibt, sind wir normalerweise irritiert und fragen nach.
Das Wort "Bäcker" erzeugt eine weitere Vorstellung - in diesem Falle bezogen auf die Tätigkeit, die von dem so Bezeichneten ausgeübt wird: Ein Mensch mit langer weißer Schürze, eventuell mit Mütze. Der Koch mit Kochmütze. Der Schlachter mit grau gestreifter Schürze. Der Politiker mit Anzug und Schlips. Und jeweils ein Mann (DER Mensch!).
Je weiter sich ein Ausdruck von den Erfahrungen der Hörerinnen entfernt, desto unklarer mag deren Vorstellung werden, aber desto mehr Raum gibt es auch für Vorurteile - so wie der Ausdruck "Professor" die "Zerstreutheit" hervorrufen mag, oder der "Obdachlose" die Vorstellung eines mit Lumpen bekleideten, unrasierten Menschen. Unbewußt bleibt dabei, daß die Vorstellung auch anders hätte ausfallen können; aber hat irgendjemand meiner LeserInnen eben gemerkt, daß ich selbstverständlich von der Vorstellung eines männlichen Obdachlosen ausgegangen bin?

Das ist etwas, was unterschwellig passiert - daß meistens tatsächlich, zumindest in den Fußgängerzonen der großen Städte, männliche Obdachlose zu sehen sind, beeinflußt unbemerkt unsere Auffassung davon, welches Geschlecht gemeint ist, wenn man von "Obdachlosen" redet. Damit wird aber die Auffassung, wonach in der männlichen Pluralform die weibliche mitgemeint ist, weshalb hier sprachlich nichts geändert werden müßte, unhaltbar. Denn das "Mitmeinen" mag die Absicht sein, aufgrund typischer geschlechtsspezifischer Zuteilungen wird es in den meisten Fällen nicht so erlebt. Und wer spricht, sollte vor allem daran interessiert sein, verstanden zu werden.

Das Wort "Mißbrauch" funktioniert nur in eine Richtung, genauso wie "Gebrauch": Man gebraucht etwas, für das selbst keine Handlungsfähigkeit in Betracht kommt, sondern von dem von vornherein klar ist, daß es in meinem Sinne funktioniert, und das heißt: im Rahmen des Zweckes, für den es geschaffen wurde. Es kann von mir nicht "erwarten", daß ich etwas anderes tue, als es zu benutzen. Aber natürlich kann ich es "zeckentfremden", also mißbräuchlich verwenden, mißbrauchen. Das kann man nicht auf Menschen übertragen. Indem man davon redet, ein Mensch sei mißbraucht worden, verläßt man also die Perspektive des Täters überhaupt nicht, man bestätigt im Gegenteil, daß das Opfer dazu da ist, benutzt zu werden - nur hätte es der Täter doch bitte richtig benutzen sollen! Eine Sprachgewohnheit kann man nicht einfach mit dem Hinweis aushebeln, in einem bestimmten Kontext sei das ganze anders gemeint.

Daß das Opfer gar nicht erst zum Opfer hätte werden dürfen, kommt nicht vor. Daß ihm oder ihr Respekt und also Anerkennung als ein gleichwertiges Gegenüber gebührt, ist in dieser Redeweise verschwunden. Im Ausdruck "Mißbrauch" ist es einfach als ein Gegenstand benannt, über den verfügt werden kann. Viele Gewaltopfer machen tatsächlich die Erfahrung, daß diejenigen, die für ihre Hilfe da sind, immer schon wissen, wie die Hilfe aussieht; das Opfer, das weiß, wie es ihm geht und seine Situation und Hilfebedürfnisse kennt, kommt in vielen Konzepten nicht vor. Schließlich: es heißt tatsächlich "das" Opfer; löblich, daß dieser Artikel immerhin nahelegt, daß Menschen beider Geschlechter Opfer werden können - andererseits ist der sächliche Artikel nicht gerade angemessen. Wir stellen sächlich artikuliertes eben nicht als etwas selbständig Handelndes vor.

Es ist noch nicht lange her, daß man überhaupt angefangen hat, den Opfern einer sexualisierten Gewalthandlung zu glauben; insbesondere, wenn es sich um Kinder handelt. Für Menschen, deren Gewalterfahrung in der Kindheit liegt und die sich mühsam als Erwachsene daran zu erinnern suchen, ist es unerläßlich, dem Erlebten endlich eine Sprache geben zu können - was insbesondere deshalb schwer ist, weil Gewalt gegen Kinder, insbesondere wenn sie sexualisiert ist, in unserer Gesellschaft lange verleugnet wurde. Man muß sich also über den unpassenden Gebrauch des Wortes "Mißbrauch" nicht wundern, der Prozeß der gesellschaftlichen Bewußtwerdung bezüglich dieses abscheulichen Verbrechens ist längst nicht abgeschlossen. Heben wir ihn auf die nächste Stufe, indem wir Menschen nicht länger die Eigenständigkeit absprechen, nur weil sie zu Opfern eines Verbrechens geworden sind.
Versuchen wir, die Anwendung des Ausdrucks "Mißbrauch" auf die Opfer von Gewalt zu beenden. Der Täter mißbraucht nicht das Opfer, sondern seine/ihre Macht; und zwar dazu, dem Opfer Gewalt anzutun. Das sollte auch genau so benannt werden.

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