Unter
"Mißbrauch" wird ganz allgemein "falscher Gebrauch"
oder auch "Zweckentfremdung" einer Sache verstanden. Daher
sollte dieser Ausdruck nicht auf Menschen bezogen werden; doch leider
wird er dies sogar in einschlägigen professionellen Bereichen. Der
Duden geht sogar so weit, den Ausdruck "Vergewaltigung" als
Synonym zu "Mißbrauch" zu nennen. Ich sehe dies als eine
Form der Gewaltausübung durch Sprache an, was ich im weiteren
erläutern möchte.
Wörter
erzeugen bewußte oder unbewußte Vorstellungen. Das leuchtet sofort
ein, wenn man an die grundlegend geschlechtsspezifischen Ausdrücke
"Mann" und "Frau" denkt; wer im Gespräch über
jemanden spricht, der nicht anwesend ist, und diesen als "Mann"
bezeichnet, erzeugt beim Gesprächs-partner natürlich eine andere
Vorstellung, als wenn er von "Frau" redet. Wir sind es
gewohnt, einer Vorstellung von einem Menschen sofort ein Geschlecht
zuzuordnen, auch wenn das üblicherweise nicht bemerkt wird. Doch
wenn wir von jemandem reden hören und lediglich ein Name genannt
wird, der uns über das Geschlecht keinen Aufschluß gibt, sind wir
normalerweise irritiert und fragen nach.
Das
Wort "Bäcker" erzeugt eine weitere Vorstellung - in diesem
Falle bezogen auf die Tätigkeit, die von dem so Bezeichneten
ausgeübt wird: Ein Mensch mit langer weißer Schürze, eventuell mit
Mütze. Der Koch mit Kochmütze. Der Schlachter mit grau gestreifter
Schürze. Der Politiker mit Anzug und Schlips. Und jeweils ein Mann
(DER Mensch!).
Je
weiter sich ein Ausdruck von den Erfahrungen der Hörerinnen
entfernt, desto unklarer mag deren Vorstellung werden, aber desto
mehr Raum gibt es auch für Vorurteile - so wie der Ausdruck
"Professor" die "Zerstreutheit" hervorrufen mag,
oder der "Obdachlose" die Vorstellung eines mit Lumpen
bekleideten, unrasierten Menschen. Unbewußt bleibt dabei, daß die
Vorstellung auch anders hätte ausfallen können; aber hat
irgendjemand meiner LeserInnen eben gemerkt, daß ich
selbstverständlich von der Vorstellung eines männlichen
Obdachlosen ausgegangen bin?
Das
ist etwas, was unterschwellig passiert - daß meistens tatsächlich,
zumindest in den Fußgängerzonen der großen Städte, männliche
Obdachlose zu sehen sind, beeinflußt unbemerkt unsere Auffassung
davon, welches Geschlecht gemeint ist, wenn man von "Obdachlosen"
redet. Damit wird aber die Auffassung, wonach in der männlichen
Pluralform die weibliche mitgemeint ist, weshalb hier sprachlich
nichts geändert werden müßte, unhaltbar. Denn das "Mitmeinen"
mag die Absicht sein, aufgrund typischer geschlechtsspezifischer
Zuteilungen wird es in den meisten Fällen nicht so erlebt. Und wer
spricht, sollte vor allem daran interessiert sein, verstanden zu
werden.
Das
Wort "Mißbrauch" funktioniert nur in eine Richtung,
genauso wie "Gebrauch": Man gebraucht etwas, für das
selbst keine Handlungsfähigkeit in Betracht kommt, sondern von dem
von vornherein klar ist, daß es in meinem Sinne funktioniert, und
das heißt: im Rahmen des Zweckes, für den es geschaffen wurde. Es
kann von mir nicht "erwarten", daß ich etwas anderes tue,
als es zu benutzen. Aber natürlich kann ich es "zeckentfremden",
also mißbräuchlich verwenden, mißbrauchen. Das kann man nicht auf
Menschen übertragen. Indem man davon redet, ein Mensch sei
mißbraucht worden, verläßt man also die Perspektive des Täters
überhaupt nicht, man bestätigt im Gegenteil, daß das Opfer dazu da
ist, benutzt zu werden - nur hätte es der Täter doch bitte richtig
benutzen sollen! Eine Sprachgewohnheit kann man nicht einfach mit dem
Hinweis aushebeln, in einem bestimmten Kontext sei das ganze anders
gemeint.
Daß
das Opfer gar nicht erst zum Opfer hätte werden dürfen, kommt nicht
vor. Daß ihm oder ihr Respekt und also Anerkennung als ein
gleichwertiges Gegenüber gebührt, ist in dieser Redeweise
verschwunden. Im Ausdruck "Mißbrauch" ist es einfach als
ein Gegenstand benannt, über den verfügt werden kann. Viele
Gewaltopfer machen tatsächlich die Erfahrung, daß diejenigen, die
für ihre Hilfe da sind, immer schon wissen, wie die Hilfe aussieht;
das Opfer, das weiß, wie es ihm geht und seine Situation und
Hilfebedürfnisse kennt, kommt in vielen Konzepten nicht vor.
Schließlich: es heißt tatsächlich "das" Opfer; löblich,
daß dieser Artikel immerhin nahelegt, daß Menschen beider
Geschlechter Opfer werden können - andererseits ist der sächliche
Artikel nicht gerade angemessen. Wir stellen sächlich artikuliertes
eben nicht als etwas selbständig Handelndes vor.
Es
ist noch nicht lange her, daß man überhaupt angefangen hat, den
Opfern einer sexualisierten Gewalthandlung zu glauben; insbesondere,
wenn es sich um Kinder handelt. Für Menschen, deren Gewalterfahrung
in der Kindheit liegt und die sich mühsam als Erwachsene daran zu
erinnern suchen, ist es unerläßlich, dem Erlebten endlich eine
Sprache geben zu können - was insbesondere deshalb schwer ist, weil
Gewalt gegen Kinder, insbesondere wenn sie sexualisiert ist, in
unserer Gesellschaft lange verleugnet wurde. Man muß sich also über
den unpassenden Gebrauch des Wortes "Mißbrauch" nicht
wundern, der Prozeß der gesellschaftlichen Bewußtwerdung bezüglich
dieses abscheulichen Verbrechens ist längst nicht abgeschlossen.
Heben wir ihn auf die nächste Stufe, indem wir Menschen nicht länger
die Eigenständigkeit absprechen, nur weil sie zu Opfern eines
Verbrechens geworden sind.
Versuchen
wir, die Anwendung des Ausdrucks "Mißbrauch" auf die Opfer
von Gewalt zu beenden. Der Täter mißbraucht nicht das Opfer,
sondern seine/ihre Macht; und zwar dazu, dem Opfer Gewalt anzutun.
Das sollte auch genau so benannt werden.
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