Montag, 7. Dezember 2015

Konsum in der gegenwärtigen Gesellschaft - Gedanken über ein Symptom

Ohne Geld geht nichts. Und wo kein Geld den Besitzer wechselt, ist auch die Arbeit nichts wert. Wer etwas selbst herstellen möchte, muß wenigstens Zutaten (Mehl oder Getreide für Brot und Kuchen) oder Material (Wolle bzw. Stoff für Strümpfe, Pullover oder sonst. Bekleidung) kaufen. Für den Anbau von Gemüse müssen Samen und vor allem Gerätschaften gekauft werden; doch wer dafür Erde und Dünger immer wieder neu kaufen muß, weil er eben keinen Garten und keinen Kompost hat, rechne einmal nach - den Geldbeutel dürfte das eher weniger entlasten. Auf jeden Fall ist es besser, als sein Gemüse weiterhin ausschließlich im Laden zu kaufen, wie ich finde; denn man lernt (wieder), wie man es anbaut. Das ist ein nicht zu unterschätzender Schritt in Richtung Selbständigkeit; man erwirbt, wenigstens zum Teil, Kompetenz für das Überleben. Viel wichtiger: man erfährt wieder, wo unser Essen herstammt, wieviel Arbeit damit verbunden ist und auch welche Unsicherheit ob der Mengen, die man letztlich ernten kann.

Eine hohe Arbeitsteilung im Verein mit der Verachtung von sog. Hausarbeit und (seelen-)pflegerischer Tätigkeiten sorgt dafür, daß immer mehr über Geld vermittelt wird. Verrichte ich meine Hausarbeit selbst, versorge Kinder (und möglicherweise einen Garten) selbst, reduziere also die sog. Erwerbstätigkeit auf ein Minimum oder "bleibe" (eigentlich: arbeite) gleich ganz zuhause, muß ich mir Abhängigkeit und Schmarotzertum vorwerfen lassen. Angeblich nämlich ist es das Ehegattensplitting, das mich an der Aufnahme einer bezahlten Arbeit hindert und nicht die Tatsache, daß mir eine sog. Berufstätigkeit es nicht ermöglichen würde, für die Kinder genau dann da zu sein, wenn diese das brauchen. Wenn ich mich jedoch um die Kinder anderer Leute kümmere, ob als Erzieherin im Kindergarten oder als Tagesmutter, ist dieselbe Tätigkeit plötzlich anerkannt. Dasselbe gilt für alle Reinigungsarbeiten. Die Verachtung diesen Arbeiten gegenüber äußert sich zwar immer noch in einer zu geringen Bezahlung, obwohl es sich um unersetzbare Tätigkeiten handelt; aber es gibt Geld, also Anerkennung - man darf diese Arbeit nur nicht für sich selbst tun.

Dinge des alltäglichen Bedarfs selbst herzustellen, ist zum Hobby degradiert. Bei Lebensmitteln bleibt der im allgemeinen bessere Geschmack z.B. der selbst-gemachten Marmelade; aber wenn man die Zutaten nicht ohnehin im eigenen Garten hat, spart man dabei wenig (von der Arbeitszeit ganz abgesehen). Rein ökonomisch betrachtet, lohnt sich auch das Stricken eines Pullovers nicht: bereits die Wolle kostet oft mehr als ein fertiger Pullover im Kaufhaus; weshalb die mit entsprechenden Materialien ausgestatteten Läden ja auch darauf konzentriert sind, Kreativität zu verkaufen. Natürlich geht es auch hier darum, daß jemand daran verdient; und nicht etwa darum, die Selbständigkeit erwachsener Menschen zu fördern.

Doch den Preis für den Billig-Einkauf sollte man nicht unterschätzen. Marmelade & Konserven in der Fabrik herzustellen, ist deshalb billig, weil der Großteil der Arbeit nicht von Menschen, sondern von Maschinen verrichtet wird (Anschaffungs- und Wartungskosten scheinen da wenig ins Gewicht zu fallen); zumal die verbleibenden Arbeiten vermutlich wenig hochqualifiziertes Personal verlangen, was natürlich die Lohnkosten senkt. Die Rohstoffe dafür, also Obst und Gemüse, werden billig eingekauft; auch hier werden die eigentlichen Erzeuger für ihre Arbeit mit einem Demutslohn "abgespeist". Damit das Land genug Ertrag abwirft, setzt man Dünger und sog. Pflanzenschutzmittel (wie das in 2015 von der WHO als potentiell krebserregend eingestufte Glyphosat) zum Teil im Übermaß ein, wie der Zustand unserer Gewässer bzw. Bodenproben erkennen läßt. Auch Gülle ist kein unbedenklicher Dünger; sie enthält einen Haufen Medikamente, mit dem die Tiere in der Intensivhaltung zur Schlachtreife gebracht werden. Diese Arzneistoffe, vor allem Antibiotika, werden in Flüsse und Seen ausgewaschen; selbst wenn sie (noch) nicht in für den Menschen gefährlicher Konzentration vorliegen, richten sie dennoch Schaden an. Zum Thema "Bekleidung" braucht man eigentlich nichts mehr zu sagen; seit dem Rana Plaza "Unglück" in 2013 muß jeder wissen, daß vor allem billig zu erwerbende Textilien nicht nur durch den Einsatz erheblicher Mengen giftiger Chemikalien produziert werden, sondern auch von Menschen, die ein Leben in einem solchen Elend führen, wie wir es uns hierzulande gar nicht ausmalen können. Billige Plastikutensilien für Küche und Haushalt schaden der Erde schon bei der Förderung des Grundstoffs, Erdöl; sie geben aber auch Giftstoffe an darin gelagerte Lebensmittel ab oder reichern sogar die (Atem-)Luft damit an. Noch ein Wort zu den Maschinen: Die Rohstoffe zu ihrer Herstellung müssen der Erde mühsam entrissen werden; die Folge sind u.a. Massen chemischer Giftabfälle, die in der Regel nicht einmal "ordentlich" deponiert werden, denn dafür müßte man sie weiter bearbeiten, und der Kostenvorteil wäre dahin. (Vermutlich würde sich unser Massenprodukt "Auto" dann niemand mehr leisten können.)
Mit einem Satz: Umwelt und Menschen werden vergiftet und benutzt, damit wir (abgesehen von den hübschen Verdienstmöglichkeiten der Konzernmanager sowie anderer Profiteure) nicht mehr selbst für unsere unmittelbaren Bedürfnisse arbeiten (müssen), sondern frei sind - ja, wofür eigentlich?

Ein paar Zahlen (Quelle: Bundeszentrale für politische Bildung): 2012 arbeiteten nur noch 1,6 % der Arbeitsbevölkerung in Deutschland in Land-, Forst- und Fischereiwirtschaft; im sog. produzierenden Gewerbe (u.a. Herstellung von Nahrungs- und Genußmitteln sowie Verbrauchsgütern, Energie- und Wasser-versorgung, Bergbau, Handwerk) waren es 18,8 % (mit dem Baugewerbe: 24,7 %). Der große Rest, und zwar 73,7 %, arbeitet im Dienstleistungsgewerbe - Handel, Gastgewerbe, Verkehr, Behörden, Verwaltung, etc. Würde jeder selbst (in kleinen, wirtschaftlich autarken Gemeinschaften) für die Befriedigung seiner unmittelbaren Bedürfnisse sorgen, wären nahezu alle dieser Jobs überflüssig. Selbst Ärzte würden kaum gebraucht, weil eine so veränderte Lebensweise einerseits das Immunsystem trainiert, und andererseits keine (oder nur sehr wenig) Schadstoffe mehr produziert würden - klare Luft und sauberes Wasser helfen, gesund zu bleiben. Natürlich wäre das Leben im Luxus, wie wir ihn nicht nur für selbstverständlich halten, sondern z. T. sogar als notwendig erleben, vorbei. Wenn solch ein Wandel überhaupt machbar wäre, wäre er "Zukunftsmusik" - von heute auf morgen geht immer nur das zu verändern, was wir hinbekommen.

Wie auch immer: Nahezu drei Viertel unserer arbeitenden Bevölkerung verbringen ihr Leben zum großen Teil im Sitzen, viele auch im Stehen (Verkäufer, Kellner); in jedem Falle üben sie Tätigkeiten aus, die Körper und Geist völlig einseitig belasten und daher überlasten. Mit allen daraus folgenden Gesundheitsschäden. Übrigens waren noch bis Anfang des 20. Jahrhunderts 80% der arbeitenden Bevölkerung in der Landwirtschaft beschäftigt [Wikipedia]. Noch früher stellten auch in Europa (meist im Rahmen einer Hausgemeinschaft) die Menschen das, was sie brauchten, selbst her; eine Arbeitsteilung bestand, so wie wir das heutzutage eher von sog. Naturvölkern wissen, höchstens zwischen Männern und Frauen, nicht zwischen den einzelnen Tätigkeiten und schon gar nicht den verschiedenen Arbeitsschritten. Mit anderen Worten: Für die Arbeit wurde der ganze Mensch gebraucht, mit allen seinen Sinnen und Fähigkeiten.

Die einseitige, nur einen Teil von uns fordernde Arbeit, deren Ergebnis nicht (mehr) uns gehört, wenn wir es denn überhaupt zu sehen bekommen: sie erzeugt letzten Endes ein Gefühl der Leere. Zusammen mit einem zunehmendem Zeitdruck mag sich manch einer wie in einem Hamsterrad gefangen fühlen. Für sich selbst zu sorgen, wird nicht honoriert - selbst wer krank ist, darf nicht "von selbst" wissen, daß er nicht arbeiten kann, sondern braucht die Bestätigung vom Arzt (der unter Umständen auch schon mal als Komplize gesehen wird beim unterstellten Versuch, sich vor der Arbeit zu drücken), um das für ihn Richtige zu tun (nämlich: gesunden). Belohnt wird stattdessen Abhängigkeit: allerdings sollte man von einem Arbeitgeber abhängig sein, nicht vom Staat. Hier sind die Begriffe im Grunde genommen auf den Kopf gestellt, denn der "Besitzer" eines Arbeitsplatzes wird im allgemeinen als unabhängig bezeichnet, obwohl er weder entscheidet, was, noch wann, noch wieviel er arbeitet. Dem von Sozialhilfe (Hartz4 etc.) lebenden Menschen wird hingegen unterstellt, er begebe sich freiwillig in staatliche Abhängigkeit, die wird dann allerdings "Hängematte" genannt - als befinde er sich (als Schmarotzer) im Dauerurlaub. Das ist zynisch und menschenverachtend, scheint aber den Vertretern dieser Ansicht dabei zu helfen, nicht merken zu müssen, in welcher Unselbständigkeit sie selbst ihr Leben verbringen. Propagiert wird, gerade von den Menschen unabhängig zu sein, die einem am nächsten stehen: Eltern, (Ehe-)Partner, Kinder, mit einem Wort: die Familie. Dagegen von jemandem abhängig zu sein, den man kaum kennt, der (Gewerkschaften hin oder her) mehr Macht hat als man selbst, und dem man insbesondere in einem System, in dem sich alles um Geld dreht, eigentlich nicht trauen kann - wird als normal betrachtet.

Unsere Innenstädte dienen mehr oder weniger nur noch dem Konsum. In den letzten Jahren bis Jahrzehnten sind überall zum Teil riesige Ladengalerien entstanden, in denen man völlig unbeeinträchtigt von jeglicher Sorte Wetter den ganzen Tag "shoppen" gehen kann. Die Ladenschlußzeiten sind erheblich ausgeweitet worden, und "Ereignisse" wie "Mitternachtsshopping" oder verkaufsoffene Sonntage finden regelmäßig statt. Man staunt darüber, wie voll die Zentren zu solchen Gelegenheiten sind. Die "Events" werden angenommen, und die "Shoppenden" scheint überhaupt nicht zu interessieren, daß für ihr Flanieren andere Menschen tatsächlich arbeiten müssen, zu einer Tageszeit, zu der sie vielleicht auch gerne lieber auf ihre Weise entspannen würden; und an einem Tag am Wochenende, den sie vielleicht lieber mit Freunden, Partnern oder der Familie verbrächten. Ein reichlich asoziales Verhalten!

Willkommen in der Überflußgesellschaft! Kleidung wird nicht gekauft, weil man sie braucht, sondern weil sie Mode ist. Weil man sich damit als jemand darstellen kann. Sie wird nicht getragen, bis sie kaputt geht; nächste Saison ist etwas anderes angesagt. Damit man sich das leisten kann, läßt man sie von Näherinnen in Bangladesh herstellen, die zu Hungerlöhnen arbeiten. Die großen Bekleidungs-firmen machen das so, kann man ja nicht ändern - sagen sich Konsument und Konsumentin und kaufen. Oft werden inzwischen Materialkosten gespart - T-Shirts sind dann so dünn, daß sie spätestens am Ende der Saison Löcher haben. Macht nichts, nächstes Jahr sind andere Farben in Mode.
Kinderspielzeug - noch so ein Thema! Die Stofftiersammlungen mancher Kinder-zimmer sind äußerst beeindruckend. Die Angebotsfülle in den entsprechenden Geschäften bzw. Abteilungen ist atemberaubend. Die Einteilung in Mädchen- und Jungenspielzeug auch: Es ist, als hätte es eine feministische Bewegung der 60-er und 70-er Jahre nie gegeben. Man fragt sich angesichts solcher Phänomene wie "Prinzessin Lilifee" oder, das neueste, sogenannten "Model-Büchern" (die offenbar dazu dienen, daß bereits jedes vorpubertäre Mädchen lernt, sich selbst zum von anderen gewünschten Objekt zu gestalten), warum vor allem die Politik Besorgnis darüber ausdrückt, daß nach wie vor so wenig Frauen technische Berufe ergreifen - wäre das ernst gemeint, müßte ja diese Sorte "Spielzeug" längst verboten sein.

Worum also geht es beim Konsumieren? Als trivial gilt wohl inzwischen die Einsicht, daß es sich dabei irgendwie um Kompensation handelt: Eine oft unmenschliche Arbeitswelt, die uns ihren Rhythmus aufdrückt, uns Zwängen aller Art und allerlei stressigen Bedingungen aussetzt, will ertragen werden. Wer dabei auch noch wenig verdient, muß halt billig konsumieren - auch dafür ist das Angebot riesengroß. (Reicht das Geld nicht? - Finanzkauf!) Schulkinder brauchen die neuesten Klamotten, damit sie nicht gehänselt werden (oder Schlimmeres). Auch ohne Mobiltelefon kommen sie nicht aus (oft allerdings eher ihre Eltern, für die der Nachwuchs dann jederzeit erreichbar, also in gewisser Weise kontrollierbar ist). Zu allen Festen muß ordentlich geschenkt werden - so drücken sich Sorge und Zuneigung heutzutage aus, oder besser gesagt: das, was viele Menschen inzwischen für Sorge und Zuneigung halten. Wenn man Jugendliche darüber reden hört, könnte man meinen, es gebe ein Recht auf bestimmte Geschenke, mit einem Mindestwert natürlich.

Mittels Konsum aufgewachsen zu sein, erzeugt materielle Ansprüche. Dadurch wird man willig, Geld zu verdienen und nimmt dafür auch wenig erträgliche Arbeitsbedingungen hin. Da man letztere nicht ändern kann, fühlt man sich insbesondere für die negativen Folgen der eigenen Arbeit nicht verantwortlich (ob davon nun andere Menschen oder die Umwelt betroffen sind). Um diese Zwangslage nicht sehen zu müssen, oder wenn man sie sieht, aushalten zu können, konsumiert man. Und dabei möchte man erst recht nicht auf irgendwelche Folgen achten müssen - hier muß man endlich einmal entlastet werden.

Das sind die Zusammenhänge. Oder?

Einerseits schon. Andererseits können wir uns hier nicht einfach als Opfer hinstellen. Zum einen müßten wir endlich einmal den Mut aufbringen, uns diese unmenschlichen Verhältnisse nicht immer weiter schön zu reden. Oder andere dafür verantwortlich zu machen - wir mögen nichts dafür können, aber es liegt in unserer Zuständigkeit, etwas dagegen zu tun. Genau hier liegt der Unterschied zwischen Schuld und Verantwortung. Deshalb sollten wir uns andererseits darüber klar werden, wie wir diese Zustände an die nächste Generation weitergeben:

Kinder mit Spielzeug zuzumüllen bedeutet, sie ungeheuer zu überfordern. Oft schlägt angesichts der Überfülle die Langeweile zu. In modernen Kleinfamilien sind Kinder oft auf sich selbst verwiesen; das viele Spielzeug stellt eine Kompensation dafür dar, daß die Erwachsenen im Grunde viel zu wenig Zeit haben, sich mit ihren Kindern zu beschäftigen (und ob Erwachsene mit Kindern wirklich Kinderspiele spielen sollten, ist eine andere Frage). Kompensiert wird aber vor allem die Tatsache, daß Kinder inzwischen nahezu vollständig aus dem öffentlichen Leben verdrängt worden sind; statt Erwachsene im Alltag bei ihren Tätigkeiten beobachten (die ja dem Leben und dem Überleben der ganzen Gesellschaft dienen) bzw. an diesen Tätigkeiten teilnehmen zu können, werden Kinder auf eine Ersatzwelt verwiesen.
Zudem sind oft wenig Spielkameraden in der Nähe. (Als ich Kind war, in den 60-er Jahren, gab es viele Kinder, und niemand mußte unser gemeinsames Spielen organisieren - wir taten das selbst. Das scheint heute anders zu sein.) Spielzeug ist passiv; das Kind muß selbst überlegen, was es damit anfängt. Doch Kinder brauchen Anregungen von außen (erst dann und dadurch kommen sie zu eigenen Ideen); Menschen, die sie beobachten können, zeigen ihnen, was man mit den Dingen macht und machen kann. Schließlich geht es auch darum, etwas zusammen zu machen: Vor allem kleine Kinder fangen schnell an, sich zu langweilen - erst wenn sie über längere Zeit Anregung gefunden haben, sind sie überhaupt in der Lage, sich "für sich" in etwas zu versenken. Auch dann brauchen sie immer noch den Erwachsenen in der Nähe, der sie in ihrem Tun bestätigt. In dieser Hinsicht kann eine Erzieherin im Kindergarten den Bedürfnissen der Kinder gar nicht gerecht werden, egal wie sehr sie sich bemüht. Die Kinder sind zu viele, und auch hier sind Umgebung und Arbeit der Erzieherin künstlich gemacht. Die Kinder können einen erwachsenen Menschen nur dabei beobachten, wie er/sie Dinge macht, die ausschließlich für Kinder bzw. mit diesen gedacht sind. Mit einer Gemeinschaft, die ihr Leben bzw. Überleben organisiert, hat das nichts zu tun. So ist für die Kinder eigentlich nicht klar, wo sie hineinwachsen sollen, und was die Gesellschaft zukünftig von ihnen erwartet.
Das Fehlen dieser gemeinschaftlichen Bezogenheit bildet die Lücke, in die das Fernsehen hineindrängt. Die Werbeindustrie mit ihrer Marktschreierei bietet das Versprechen, mit dem Kauf bestimmter Produkte an der geheimnisvollen, bunten Welt der Erwachsenen teilhaben zu können. Allerdings wird hier Anregung eher durch Aufregung ersetzt; das Spannende am neuen Spielzeug besteht häufig nur darin, daß es neu ist; oft sind die Spielmöglichkeiten so festgelegt, daß es schnell wieder langweilig wird. Das Spielzeug selbst aber bringt keine Nähe zu Anderen; im Gegenteil dient es zur Einübung in den Wettbewerb: Wer hat die besten Spiele, wer die neuesten? Wer hat die besten Geräte, mit der supertollsten Software? Auch dies wird über den in der Reklame herrschenden Grundton vermittelt, aber nicht nur; letzten Endes ist ja unser ganzes Bildungssystem über Wettbewerb organisiert; ein Mensch entfernt sich vom anderen, Nähe gibt es höchstens selektiv. Der Konsum von immer Neuem läßt einen nie satt werden, ohne daß man jedoch merken müßte, was einem wirklich fehlt.

Unsere Kinder wachsen nicht auf, indem sie am Alltagsleben teilnehmen, sondern sie sind auf eine "Lernwelt" verwiesen, für die extra Berufe erfunden wurden: ErzieherInnen und LehrerInnen sollen ihnen beibringen, was man im Leben so braucht. Mit der Spielzeugwelt wird ihnen zudem eine ungeheuere Ersatzwelt präsentiert, die allerdings eines nicht enthält: das reale Leben in der realen Gemeinschaft. Es ist alles ein "als-ob".

Konsum wird vor allem dadurch zum Kompensationsmittel, daß Erwachsene nicht über den Ablauf ihre Alltags bestimmen können und daher Eltern mit ihren Bedürfnissen (sei es auch nur, einem Arbeitgeber zu genügen, um ein sicheres Einkommen nach Hause zu bringen; aber auch mit den Erholungsbedürfnissen) zu den Bedürfnissen ihrer Kinder in Konkurrenz geraten. Es sind die Kleinigkeiten im gerade für berufstätige Eltern viel zu stressigen Alltagsleben: Das Kind, das sich morgens selbst anziehen will und dafür (das heißt: für das Bedürfnis der Erwachsenen) zu lange braucht, ist nicht alltagskompatibel. Daher darf es sich in aller Regel nicht selbst anziehen. Hier wird seitens der Erwachsenen gegen einen starken Impuls gearbeitet - wie jeder weiß, der die Reaktion der Kinder auf ein solches Verbot erlebt hat. Ein protestierendes Kind läßt sich aber auch nicht so einfach anziehen; daher wird in solchen Fällen nicht selten zu manipulativen Mitteln gegriffen. Man überredet das Kind, sich anziehen zu lassen (oder was auch immer sonst man von ihm will), indem man ihm etwas anderes dafür anbietet. Wenn es jetzt still hält, geht Mama nachher mit ihm in den Park, und es bekommt ein Eis. Je nach den bekannten Vorlieben des Kindes. -- Wenn es dann in die Karre soll, um geschoben zu werden, aber leider, leider heute laufen will, steht der nächste Konflikt an. Da ist dann u. U. schnell das leckere Brötchen zur Hand, mit dem es sich (hoffentlich) ablenken läßt. So wird also bereits im Elternhaus Kompensation eingeübt - Kompensation dafür, daß das Kind nicht bekommt, was es eigentlich für seine Entwicklung zu einem reifen, selbständigen Menschen brauchen würde. (So wie der erwachsene, im Arbeitsleben stehende Mensch es gefälligst hinzunehmen hat, nicht als vollständiger Mensch angesprochen zu werden.)

Dabei wird aber auch etwas geradezu Fatales gelernt: In aller Regel lassen die Erwachsenen das Kind ja nicht einfach protestieren, während sie ihren Willen durchsetzen. (Es tut schließlich weh, dem eigenen Kind nicht gerecht werden zu können.) Statt dessen wird das Kind von seinem Schmerz abgelenkt. Doch Schmerz verschwindet so nicht, er wird bloß verdrängt - was sich letzten Endes, sofern die Erwachsenen sich regelmäßig auf solche Weise verhalten, in ein Verhaltensmuster der Kinder umsetzt. In begrenztem Maße kennen wir das alle von uns selbst: statt uns gegen verletzende Menschen (oder eben: verletzende Verhältnisse) zur Wehr zu setzen, greifen wir zur Zigarette. Oder zur Schokolade. Und wenn der Tag besonders stressig war, kann es auch ein Glas Wein oder eine Flasche Bier mehr werden als sonst. Doch letzten Endes nehmen wir damit ein Leben hin, das so nicht sein sollte. Für niemanden.

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