Familienplanung.
Ein vertrauter Begriff. Eine Schulfreundin hatte bereits vor dem
Abitur eine konkrete Vorstellung davon, wie sie ihre zukünftigen
Kinder in ihr zukünftiges Leben integrieren könnte: während des
Studiums. Denn danach, so meinte sie, wäre dafür einfach keine
Zeit.
Damals
gab es allerdings noch keine übermäßige Strukturierung des
Studiums wie inzwischen durch Einführung des Bachelor; es war
unproblematisch und mit keinerlei bürokratischen Übungen verbunden,
einfach ein paar Semester anzuhängen. Weil man Kinder bekam oder
überhaupt das Studium selbst finanzieren mußte.
Auffällig
war allerdings, daß von uns jungen Frauen viele mit dem Thema
Kinderkriegen beschäftigt waren. Von den jungen Männern hingegen
hörte man davon nichts. Denen schien es total egal zu sein. Sie
machten eher den Eindruck, als wäre Familiengründung etwas, womit
ihr zukünftiges Leben rein gar nichts zu tun hätte. Ein
eigenartiges Vakuum, das mit der herkömmlichen Arbeitsteilung
zwischen den Geschlechtern nicht erklärt werden kann, denn die
Männer waren durchaus mit Fragen der Berufswahl beschäftigt. Aber
der Punkt "Familie" kam eben in ihren Zukunftsentwürfen
nicht vor. Ebenso seltsam die Planung meiner Schulfreundin; denn auch
die bezog ja einen zukünftigen Vater nur theoretisch ein. Daß so
eine Planung von zwei Menschen zu unternehmen wäre, die gemeinsam
entscheiden müßten, wann sie Kinder bekommen und unter welchen
Umständen, wie sie diese Lebensphase überhaupt organisieren würden;
das kam nicht vor.
Mag
sein, daß sich das nicht verallgemeinern läßt, zumindest nicht
diese extreme Weise der Nichtbefassung. Im Freundeskreis, dessen
Mitglieder sich überwiegend auf anderen Schulen befanden, sah es
allerdings kaum anders aus. Der Mann, der seine Berufswahl immerhin
mit der Idee verknüpfte, von diesem Beruf eine Familie ernähren zu
können, hatte Seltenheitswert. Daß sich ein Mann ausdrücklich
Kinder wünschte, erinnere ich für einen einzigen Fall; ob es
möglicherweise daran lag, daß niemand sich traute, diesen Wunsch zu
äußern? Aus Angst, mit der Frage konfrontiert zu werden, ob er sich
auch um diese Kinder kümmern, oder dieses (wie die Generation
unserer Väter) selbstverständlich seiner (zukünftigen) Frau
überlassen wollte? Zumindest in den Köpfen waren die Verhältnisse
ein wenig in Aufruhr; die bisherigen Selbstverständlichkeiten wurden
nicht mehr unbedingt als solche gesehen.
Familienplanung.
Zunächst jedoch Familienverhinderung; erst die Ausbildung, dann den
Job, denn angesichts der Scheidungszahlen muß Frau sich selbst
ernähren können. Und dann - wird es für viele Frauen langsam eng.
Immer öfter immer später, immer öfter dann gar nicht mehr. Was für
ein Glück, daß es inzwischen die sogenannte Reproduktionsmedizin
gibt. Oder?
Reproduktion.
Auf deutsch: Fortpflanzung. Fortpflanzungsmedizin. Wird gebraucht,
wenn man es nicht (mehr) von selbst schafft, sich fortzupflanzen.
Kinder zu (er-)zeugen. Doch warum eigentlich? Wird dieser Bereich der
Medizin gebraucht, um Kinder zu bekommen - oder nicht vielmehr
deshalb, weil man nicht bereit ist, sich mit der Tatsache abzufinden,
daß man "von selbst" keine bekommt?
Bevor
es Reproduktionsmedizin gab, also die allerlängste Zeit der
Menschheitsgeschichte, war dies der Normalfall: Wer keine Kinder
bekam, der bekam keine. Das tat weh, und man mußte damit zurecht
kommen. Inzwischen jedoch müssen wir uns aufgrund der
technologischen Möglichkeiten nicht mehr damit abfinden. Und, das
ist eine nicht zu unterschätzende Begleiterscheinung dieser
Möglichkeiten, wir dürfen es möglicherweise auch nicht mehr.
Reproduktionsmedizinische
Behandlungen sind dabei nicht ohne Risiko: Eizellen lassen sich nicht
ohne Hormongaben gewinnen, und ein körperlicher Eingriff stellt
immer ein Risiko dar. Garantien auf das ersehnte Kind gibt es schon
gar nicht. Überzählige Eizellen: ein mit der Methode erkauftes
moralisches Problem. Bei der sogenannten In-Vitro-Fertilisation blieb
es nicht stehen: Wenn der eigene Körper Samen oder Eizellen nicht in
benötigter Menge oder gar nicht produziert, "dürfen" die
Keimzellen auch von Spendern stammen. Taugt der eigene Körper nicht
für die Schwangerschaft, "darf" es auch der Körper einer
anderen Frau sein.
Leihmutterschaft.
Eine "Einrichtung", die nur funktioniert, weil es Menschen
gibt, die an der herrschenden Ökonomie nicht oder für ihr Leben
nicht ausreichend beteiligt werden.
Das
alles ist moralisch gesehen äußerst fragwürdig. An die Folgen für
die aus solchen künstlich zusammengefügten Kombinationen von
Eizelle, Samen, gebährender und sozialer Mutter stammenden Kinder
wird nicht gedacht. Was technisch geht, wird umgesetzt. Was technisch
nicht geht, ließe sich ja in Zukunft doch noch hinbekommen.
Überlegungen bezüglich der Frage, ob man seine derartigen Ideen
nicht lieber als gesellschaftlich unsinnig und insofern nicht
wünschenswert abhaken sollte, scheinen in dieser Branche (sowie in
sonstigen Forschungsbereichen) nicht zu existieren.
Der
Wunsch nach einem Kind (oder mehreren) ist das natürlichste auf der
Welt. Man war selbst Kind, hatte also die eigenen Eltern und die der
anderen Kinder als Beispiel dafür, daß Kinder zu haben, mit Kindern
zu leben zum Leben eines Erwachsenen selbstverständlich dazugehört.
Der Lauf der Generationen ist genau das, was eine Gemeinschaft von
Menschen ausmacht. Man wird geboren, reift heran, hat selbst Kinder,
dann Enkelkinder, man stirbt. Was kann selbstverständlicher,
normaler, natürlicher sein als Kinder zu kriegen? Nicht: money makes
the world go round. Sondern: Ohne Kinder keine Menschheit.
Doch
unsere Gesellschaft zentriert ihr Leben nicht um Kinder. Leben und
Überleben sind auf eine Weise organisiert, daß Kinder dabei stören.
Kinder zu haben, wird für gar nicht wenige Menschen zum
(Armuts-)Risiko. Die einen haben mies bezahlte Jobs, mit denen sie
Kinder kaum ernähren können. Die anderen haben eine lange
Ausbildungszeit, die sie mit Glück gerade selber finanzieren können;
an deren Ende steht möglicherweise immerhin ein Job mit gutem
Verdienst, allerdings in Vollzeit. Zeit für Kinder haben sie alle
nicht. Die einen lassen sie notgedrungen allein, die anderen bezahlen
jemand anderes dafür, sich um die Kinder zu kümmern. "Die
Wirtschaft" braucht zwar Nachwuchs, aber erst, wenn er älter
ist - für das Heranwachsen von Kindern sieht sie sich nicht in der
Verantwortung. Im Gegenteil verhalten sich Arbeitgeber feindselig,
wenn es um Kinder geht: Frauen, die sich um einen Job bewerben,
werden selbstverständlich nach ihrem Kinderwunsch gefragt und im
Zweifelsfalle nicht eingestellt; der Mutterschutz wird nur als
Kostenfaktor gesehen. Männer, die immer noch als "Haupternährer"
ihrer Familie betrachtet werden, sollten auch lieber nicht nach
familienfreundlichen Arbeitszeiten fragen - geschweige denn auch nur
einen Tag frei nehmen, wenn ihr Kind krank ist. Die Familien sind zu
Kleinstfamilien zusammengeschrumpft, Kinder zum Privat-"Besitz"
geworden. Die biologischen Eltern sind allein zuständig gemacht, die
Folgen für alle Beteiligten dürfen von diesen selbst getragen
werden. Kinder werden einer Vielzahl möglicher, dauerhafter sozialer
Beziehungen beraubt, biologisch kinderlose Menschen von einem Leben
mit Kindern entfremdet.
So
eine Gesellschaft dient uns nicht. Wenn unsere dem Lebensunterhalt
dienende Arbeit sich der Familie nicht unterordnet, sondern die
Prioritäten auf den Kopf stellt, dann müssen diese Prioritäten
dringend zurechtgerückt werden. Statt dessen unterwerfen sich alle
Beteiligten den herrschenden Verhältnissen und weichen den daraus
erwachsenden Problemen aus: Die Männer, die sich nicht mit der Frage
der Nachkommenschaft beschäftigen, können sie doch Kinder auch noch
im fortgeschrittenen Lebensalter zeugen. Die Frauen, die mit der
Zuständigkeit der Männer für Familie nicht rechnen können - nicht
mit ihrer Zeit, aber erst recht nicht mehr mit ihrer finanziellen
Verantwortung - geben der "Karriere" den Vorrang. Die
Arbeitgeber diktieren die Arbeitszeit, und Mütter und Väter lassen
ihre Kinder von anderen versorgen. Doch an den Kindern bleibt es
hängen. Sie haben nicht die Macht, gegen eine Welt zu protestieren,
die ihnen immer weniger Raum gibt und ihren Eltern nicht genügend
Kapazitäten für sie läßt (auch emotionaler Art). Sie arrangieren
sich. Immer mehr Kinder haben dafür körperliche Beschwerden, von
denen frühere Generationen allenfalls im Erwachsenenalter geplagt
wurden: Kopfschmerzen, Bauchweh, Schlafstörungen, ein geschwächtes
Immunsystem, Depressionen und Angststörungen.
Die
Reproduktionsmedizin hilft allenfalls beim Ausweichen. Vor allem
gaukelt sie eine Wahlfreiheit vor, die letzten Endes gar nicht
besteht - wenn die Kinder später "gemacht" werden, sind
auch die Probleme nach hinten verschoben. Probleme, die durch die
Organisation einer Gesellschaft verursacht werden, die Menschen nur
mehr als Verfügungsmasse für eine Arbeitswelt betrachtet, in der
sich einige wenige auf Kosten aller anderen bereichern (und dabei,
menschlich gesehen, wohl nicht einmal glücklich sind).
Eine
Gesellschaft braucht Kinder. Daher braucht sie jedoch zuallererst
Verhältnisse, in denen diese Kinder willkommen sind und
selbstverständlich dazugehören, auch und gerade im Alltag.
Reproduktionsmedizin nützt höchstens denen, die daran verdienen.
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