Sonntag, 9. November 2014

Familienplanung und Reproduktionsmedizin

Familienplanung. Ein vertrauter Begriff. Eine Schulfreundin hatte bereits vor dem Abitur eine konkrete Vorstellung davon, wie sie ihre zukünftigen Kinder in ihr zukünftiges Leben integrieren könnte: während des Studiums. Denn danach, so meinte sie, wäre dafür einfach keine Zeit.

Damals gab es allerdings noch keine übermäßige Strukturierung des Studiums wie inzwischen durch Einführung des Bachelor; es war unproblematisch und mit keinerlei bürokratischen Übungen verbunden, einfach ein paar Semester anzuhängen. Weil man Kinder bekam oder überhaupt das Studium selbst finanzieren mußte.

Auffällig war allerdings, daß von uns jungen Frauen viele mit dem Thema Kinderkriegen beschäftigt waren. Von den jungen Männern hingegen hörte man davon nichts. Denen schien es total egal zu sein. Sie machten eher den Eindruck, als wäre Familiengründung etwas, womit ihr zukünftiges Leben rein gar nichts zu tun hätte. Ein eigenartiges Vakuum, das mit der herkömmlichen Arbeitsteilung zwischen den Geschlechtern nicht erklärt werden kann, denn die Männer waren durchaus mit Fragen der Berufswahl beschäftigt. Aber der Punkt "Familie" kam eben in ihren Zukunftsentwürfen nicht vor. Ebenso seltsam die Planung meiner Schulfreundin; denn auch die bezog ja einen zukünftigen Vater nur theoretisch ein. Daß so eine Planung von zwei Menschen zu unternehmen wäre, die gemeinsam entscheiden müßten, wann sie Kinder bekommen und unter welchen Umständen, wie sie diese Lebensphase überhaupt organisieren würden; das kam nicht vor.

Mag sein, daß sich das nicht verallgemeinern läßt, zumindest nicht diese extreme Weise der Nichtbefassung. Im Freundeskreis, dessen Mitglieder sich überwiegend auf anderen Schulen befanden, sah es allerdings kaum anders aus. Der Mann, der seine Berufswahl immerhin mit der Idee verknüpfte, von diesem Beruf eine Familie ernähren zu können, hatte Seltenheitswert. Daß sich ein Mann ausdrücklich Kinder wünschte, erinnere ich für einen einzigen Fall; ob es möglicherweise daran lag, daß niemand sich traute, diesen Wunsch zu äußern? Aus Angst, mit der Frage konfrontiert zu werden, ob er sich auch um diese Kinder kümmern, oder dieses (wie die Generation unserer Väter) selbstverständlich seiner (zukünftigen) Frau überlassen wollte? Zumindest in den Köpfen waren die Verhältnisse ein wenig in Aufruhr; die bisherigen Selbstverständlichkeiten wurden nicht mehr unbedingt als solche gesehen.

Familienplanung. Zunächst jedoch Familienverhinderung; erst die Ausbildung, dann den Job, denn angesichts der Scheidungszahlen muß Frau sich selbst ernähren können. Und dann - wird es für viele Frauen langsam eng. Immer öfter immer später, immer öfter dann gar nicht mehr. Was für ein Glück, daß es inzwischen die sogenannte Reproduktionsmedizin gibt. Oder?

Reproduktion. Auf deutsch: Fortpflanzung. Fortpflanzungsmedizin. Wird gebraucht, wenn man es nicht (mehr) von selbst schafft, sich fortzupflanzen. Kinder zu (er-)zeugen. Doch warum eigentlich? Wird dieser Bereich der Medizin gebraucht, um Kinder zu bekommen - oder nicht vielmehr deshalb, weil man nicht bereit ist, sich mit der Tatsache abzufinden, daß man "von selbst" keine bekommt?

Bevor es Reproduktionsmedizin gab, also die allerlängste Zeit der Menschheitsgeschichte, war dies der Normalfall: Wer keine Kinder bekam, der bekam keine. Das tat weh, und man mußte damit zurecht kommen. Inzwischen jedoch müssen wir uns aufgrund der technologischen Möglichkeiten nicht mehr damit abfinden. Und, das ist eine nicht zu unterschätzende Begleiterscheinung dieser Möglichkeiten, wir dürfen es möglicherweise auch nicht mehr.

Reproduktionsmedizinische Behandlungen sind dabei nicht ohne Risiko: Eizellen lassen sich nicht ohne Hormongaben gewinnen, und ein körperlicher Eingriff stellt immer ein Risiko dar. Garantien auf das ersehnte Kind gibt es schon gar nicht. Überzählige Eizellen: ein mit der Methode erkauftes moralisches Problem. Bei der sogenannten In-Vitro-Fertilisation blieb es nicht stehen: Wenn der eigene Körper Samen oder Eizellen nicht in benötigter Menge oder gar nicht produziert, "dürfen" die Keimzellen auch von Spendern stammen. Taugt der eigene Körper nicht für die Schwangerschaft, "darf" es auch der Körper einer anderen Frau sein.

Leihmutterschaft. Eine "Einrichtung", die nur funktioniert, weil es Menschen gibt, die an der herrschenden Ökonomie nicht oder für ihr Leben nicht ausreichend beteiligt werden.

Das alles ist moralisch gesehen äußerst fragwürdig. An die Folgen für die aus solchen künstlich zusammengefügten Kombinationen von Eizelle, Samen, gebährender und sozialer Mutter stammenden Kinder wird nicht gedacht. Was technisch geht, wird umgesetzt. Was technisch nicht geht, ließe sich ja in Zukunft doch noch hinbekommen. Überlegungen bezüglich der Frage, ob man seine derartigen Ideen nicht lieber als gesellschaftlich unsinnig und insofern nicht wünschenswert abhaken sollte, scheinen in dieser Branche (sowie in sonstigen Forschungsbereichen) nicht zu existieren.

Der Wunsch nach einem Kind (oder mehreren) ist das natürlichste auf der Welt. Man war selbst Kind, hatte also die eigenen Eltern und die der anderen Kinder als Beispiel dafür, daß Kinder zu haben, mit Kindern zu leben zum Leben eines Erwachsenen selbstverständlich dazugehört. Der Lauf der Generationen ist genau das, was eine Gemeinschaft von Menschen ausmacht. Man wird geboren, reift heran, hat selbst Kinder, dann Enkelkinder, man stirbt. Was kann selbstverständlicher, normaler, natürlicher sein als Kinder zu kriegen? Nicht: money makes the world go round. Sondern: Ohne Kinder keine Menschheit.

Doch unsere Gesellschaft zentriert ihr Leben nicht um Kinder. Leben und Überleben sind auf eine Weise organisiert, daß Kinder dabei stören. Kinder zu haben, wird für gar nicht wenige Menschen zum (Armuts-)Risiko. Die einen haben mies bezahlte Jobs, mit denen sie Kinder kaum ernähren können. Die anderen haben eine lange Ausbildungszeit, die sie mit Glück gerade selber finanzieren können; an deren Ende steht möglicherweise immerhin ein Job mit gutem Verdienst, allerdings in Vollzeit. Zeit für Kinder haben sie alle nicht. Die einen lassen sie notgedrungen allein, die anderen bezahlen jemand anderes dafür, sich um die Kinder zu kümmern. "Die Wirtschaft" braucht zwar Nachwuchs, aber erst, wenn er älter ist - für das Heranwachsen von Kindern sieht sie sich nicht in der Verantwortung. Im Gegenteil verhalten sich Arbeitgeber feindselig, wenn es um Kinder geht: Frauen, die sich um einen Job bewerben, werden selbstverständlich nach ihrem Kinderwunsch gefragt und im Zweifelsfalle nicht eingestellt; der Mutterschutz wird nur als Kostenfaktor gesehen. Männer, die immer noch als "Haupternährer" ihrer Familie betrachtet werden, sollten auch lieber nicht nach familienfreundlichen Arbeitszeiten fragen - geschweige denn auch nur einen Tag frei nehmen, wenn ihr Kind krank ist. Die Familien sind zu Kleinstfamilien zusammengeschrumpft, Kinder zum Privat-"Besitz" geworden. Die biologischen Eltern sind allein zuständig gemacht, die Folgen für alle Beteiligten dürfen von diesen selbst getragen werden. Kinder werden einer Vielzahl möglicher, dauerhafter sozialer Beziehungen beraubt, biologisch kinderlose Menschen von einem Leben mit Kindern entfremdet.

So eine Gesellschaft dient uns nicht. Wenn unsere dem Lebensunterhalt dienende Arbeit sich der Familie nicht unterordnet, sondern die Prioritäten auf den Kopf stellt, dann müssen diese Prioritäten dringend zurechtgerückt werden. Statt dessen unterwerfen sich alle Beteiligten den herrschenden Verhältnissen und weichen den daraus erwachsenden Problemen aus: Die Männer, die sich nicht mit der Frage der Nachkommenschaft beschäftigen, können sie doch Kinder auch noch im fortgeschrittenen Lebensalter zeugen. Die Frauen, die mit der Zuständigkeit der Männer für Familie nicht rechnen können - nicht mit ihrer Zeit, aber erst recht nicht mehr mit ihrer finanziellen Verantwortung - geben der "Karriere" den Vorrang. Die Arbeitgeber diktieren die Arbeitszeit, und Mütter und Väter lassen ihre Kinder von anderen versorgen. Doch an den Kindern bleibt es hängen. Sie haben nicht die Macht, gegen eine Welt zu protestieren, die ihnen immer weniger Raum gibt und ihren Eltern nicht genügend Kapazitäten für sie läßt (auch emotionaler Art). Sie arrangieren sich. Immer mehr Kinder haben dafür körperliche Beschwerden, von denen frühere Generationen allenfalls im Erwachsenenalter geplagt wurden: Kopfschmerzen, Bauchweh, Schlafstörungen, ein geschwächtes Immunsystem, Depressionen und Angststörungen.

Die Reproduktionsmedizin hilft allenfalls beim Ausweichen. Vor allem gaukelt sie eine Wahlfreiheit vor, die letzten Endes gar nicht besteht - wenn die Kinder später "gemacht" werden, sind auch die Probleme nach hinten verschoben. Probleme, die durch die Organisation einer Gesellschaft verursacht werden, die Menschen nur mehr als Verfügungsmasse für eine Arbeitswelt betrachtet, in der sich einige wenige auf Kosten aller anderen bereichern (und dabei, menschlich gesehen, wohl nicht einmal glücklich sind).

Eine Gesellschaft braucht Kinder. Daher braucht sie jedoch zuallererst Verhältnisse, in denen diese Kinder willkommen sind und selbstverständlich dazugehören, auch und gerade im Alltag. Reproduktionsmedizin nützt höchstens denen, die daran verdienen.

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