Meinungsfreiheit
gilt als essentieller Bestandteil demokratischer Gesellschaften. Im
Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, Artikel 5 (1),
heißt es: "Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift
und Bild frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein
zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten. Die Pressefreiheit
und die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film werden
gewährleistet. Eine Zensur findet nicht statt." Mit der
Einschränkung, natürlich, daß es sich nicht um persönliche
Ehrverletzungen handelt, der Jugendschutz oder sonst ein allgemeines
Gesetz verletzt wird.
Die
Frage, wann jemand mit seiner (öffentlich geäußerten) Meinung ein
Gesetz übertritt, ist sicher wichtig, jedenfalls häufig genug
strittig. Aber hier geht es mir um etwas anderes: Was bringt uns
dieses Grundrecht?
Eine
nicht zu überschätzende Sicherheit gewinnen wir jedenfalls: wir
können unsere Meinung äußern, egal wie (sachlich) kritisch sie
gegen wen auch immer gerichtet ist, ohne negative Folgen befürchten
zu müssen. Wer jetzt lacht, weil ihm oder ihr sofort Beispiele für
das Gegenteil einfallen: davon kenne ich auch einige. Wir können uns
sicher darauf einigen, daß selbst von diesen nicht wenige auf
juristischem Wege korrigiert werden; die Sicherheit mag relativ sein,
aber sie gilt für einen großen Bereich.
Gefährdet
ist die Meinungsfreiheit, denke ich, auf eine andere Weise. Und zwar
gerade dort, wo wir unsere Meinung äußern können, ohne daß wir
ein Gesetz übertreten und uns außer den Juristen auch sonst niemand
an der Äußerung hindert. Denn was nützt es, eine wohlinformierte,
wohlbegründete Meinung zu haben, wenn aus ihr nichts folgt? Was
nützt unsere sachgerechte Meinung, wenn wir damit auflaufen?
Der
augenscheinlichste Weg, Kritik an bestehenden Verhältnissen
wirkungsvoll zu äußern, sind Parlamentswahlen. Allerdings ist
unsere Meinungsfreiheit hierbei sehr begrenzt, denn wir können nur
zwischen vorgefertigten Meinungen wählen; außerdem sind wir
gezwungen, ein ganzes Meinungspaket zu wählen, dem wir oft gar nicht
vollständig zustimmen (es ist halt nur dasjenige Paket, das die
eigenen Prioritäten enthält). Was aber, wenn die von uns gewählte
Partei nicht an die Regierung gelangt? Dann zählt unsere Meinung
nicht. Wir werden unter Umständen gezwungen, mit aus der
gegenteiligen Meinung resultierenden Folgen zu leben. Ein gutes
Beispiel dafür ist die Nutzung der Kernenergie: Wer immer schon der
Meinung war, daß die Sicherheit dieser Art der Energiegewinnung
nicht gewährleistet werden kann (neuestes Beispiel: Fukushima, von
wo aus weiterhin Radioaktivität mittels Ozeanen über die ganze Welt
verteilt wird), hat zwar Recht behalten; aber was nützt ihm das?
Eine
Meinung, die man zwar äußern kann, aus der aber nichts folgt, ist
in Wahrheit nicht frei. Wenn sie nicht auf die Verhältnisse wirkt;
wenn andere sie nicht zur Kenntnis nehmen, sie erwägen, sich mit ihr
auseinandersetzen - dann läuft diese Meinung einfach ins Leere. Das
wiederum nimmt dem Menschen, der diese Meinung hat, das Gefühl, sein
Leben kontrollieren zu können.
Insbesondere
auf Wahlen bezogen gilt immer diejenige Meinung für zukünftige
Handlungen, der die meisten zustimmen, und oft nicht einmal das (man
denke nur an die Wirkmächtigkeit von Lobbyisten, die schon häufig
sinnvolle Gesetzesvorhaben zu Fall gebracht haben). Aber die Mehrheit
hat eben nicht deshalb in einer Sache Recht, weil sie die Mehrheit
ist. Entscheidungen, die jeden betreffen, dürften eigentlich nicht
von einer Mehrheit getroffen werden; sie müssten diskutiert werden,
bis ihnen jeder zustimmen kann.
Von
Meinungsfreiheit kann man nur dort reden, wo eine Meinung gehört
wird und Einfluß auf die öffentlichen Angelegenheiten nimmt. Das
ist bei uns aber gar nicht bzw. nur sehr eingeschränkt der Fall. Um
Gehör zu bekommen, müssen jeweils Massen an Menschen mobilisiert
werden - wahlweise aber eben auch manipuliert. Unterschiedliche
soziale Orte eröffnen wenigen sogar das Privileg, selbstverständlich
gehört zu werden; Politiker natürlich, Manager von großen
Unternehmen, Gewerkschaftsvorsitzende. Die meisten von uns haben
dieses Privileg nicht. Manche haben also mehr Meinungsfreiheit als
viele andere.
Doch
auch diejenigen, die das Privileg haben, ihre Meinung regelmäßig
öffentlich äußern zu können, sind hierin eigentlich nicht frei.
Politiker müssen Rücksicht auf ihre Partei nehmen, sie dürfen auch
die "öffentliche Meinung" nicht außer acht lassen. Ein
nicht zu unterschätzendes Problem betrifft hierbei die
Vermittlungstätigkeit der Journalisten: Insbesondere wenn diese für
die Nachrichtenredaktionen des Fernsehens arbeiten, haben sie
aufgrund der Kürze der Sendungen bzw. der einzelnen
Nachrichtenschnipsel kaum Möglichkeiten, Aussagen von Politikern
ausführlich genug zu zeigen, so daß wir als ZuschauerInnen das
ganze Bild erhalten würden. In der Regel sind es kurze Ausschnitte.
Werden diese schlecht ausgewählt, erzeugt dies bei sehr vielen
Menschen eine nicht der Sache entsprechende Meinung. Denn nicht alle
sind in der Lage zu bemerken, ob ein Bericht z.B. Fragen offen läßt
- man muß schon regelmäßig komplexere Zeitungsartikel lesen, um
ein Gespür dafür zu entwickeln. Doch viele Menschen haben,
insbesondere unter den Belastungen der heutigen Arbeitswelt, weder
Zeit noch Energie, um das zu tun. Sie sind, um sich ein halbwegs
zutreffendes Bild aktueller Lagen machen zu können, auf die
Nachrichten angewiesen und gerade darauf, daß diese zwar knapp, aber
zutreffend präsentiert werden. (Für Hartz 4-Empfänger beträgt der
Posten "Nachrichtenübermittlung" momentan € 33,73 im Monat
- der größte Teil davon dürfte für den Telefonanschluß gebraucht
werden, dazu kommen Briefkosten; eine Zeitung ist da nicht mehr
finanzierbar.)
Doch
wenn Menschen über die hauptsächlich präsenten Medien nur
Teil-Wahrheiten erhalten und daraus falsche Schlüsse ziehen, die ja
auch ihr Wahlverhalten bestimmen - dann ist das für uns alle nicht
hinnehmbar. Natürlich hat jeder die Freiheit, eine Meinung zu
vertreten, selbst wenn diese durch Fehlinformationen zustande kommt.
Um so wichtiger wird jedoch die Funktion der Presse: Journalisten
müssen redlich arbeiten. Leider sieht man in den Hauptnachrichten
sehr häufig Beiträge, die zumindest bei mir den Eindruck erwecken,
daß Bundestagsdebatten polemisch geführt werden, nicht jedoch
sachhaltig (übrigens mit Ausnahme der Beiträge der Linkspartei -
heißt das jetzt aber, daß diese keine Polemik produziert, oder
liegt das an der redaktionellen Auswahl?). Oft jedoch, das ist nicht
nur meine persönliche Erfahrungen, können Menschen nicht in jedem
Fall zwischen Polemik und sachhaltiger Aussage unterscheiden. Auch
hier besteht etwa die Gefahr, daß Ressentiments zugestimmt wird,
weil sie z.B. dem eigenen Gefühl der Machtlosigkeit abhelfen -
endlich sagt mal einer die Wahrheit, heißt es dann. Ob dieser auch
Ahnung von der Sache hat, geht dabei schlicht unter.
Tatsächlich
spricht all das gegen die repräsentative Demokratie. Es spricht vor
allen Dingen gegen eine Lebensweise, die uns in Einzelne zerlegt, die
nicht mehr miteinander, sondern nur noch nebeneinander leben. Davon
zeugt nicht zuletzt das Phänomen, daß Menschen Parteien deshalb
wählen, weil diese ihre Interessen vertreten. Wenn man miteinander
lebt, kann man nur eine solche Partei wählen, die dafür steht, als
Regierung die Interessen aller Menschen zu berücksichtigen und zu
balancieren. Diese Partei muß wohl erst noch erfunden werden (und im
Wortsinne wäre sie dann auch keine "Partei" mehr).
Was
wir brauchen, ist die Möglichkeit, auf lokaler Ebene Einfluß zu
nehmen. Dies ist bisher grundsätzlich im Rahmen von
Bürgerinitiativen möglich, die sich jedoch extra gründen müssen,
um dann z.B. über Petitionen bzw. Bürgerentscheide die Parlamente
vor Ort zur Änderung ihres politischen Handelns zu bringen. Doch die
politische Passivität, in die Leute fallen, die immer wieder die
Erfahrung machen, daß ihre Meinung nicht zählt, verhindert oft
genug, daß Bürgerentscheide unterstützt werden - so verfehlen sie
regelmäßig das vorgeschriebene Quorum. Statt dessen müßte die
Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger strukturell vorgesehen
werden.
Nicht
zuletzt stellt die immer weitergehende, völlig ausgeuferte
internationale wirtschaftliche Verflechtung das größte Problem dar,
wenn es darum geht, daß wir Bürger aus der politischen
Hilflosigkeit herauskommen. Es muß also darum gehen, die
Abhängigkeit von weit entfernten Wirtschaftsräumen nach und nach
zurückzudrehen - je mehr lebensnotwendige Güter vor Ort bzw. in der
näheren Umgebung hergestellt werden, desto mehr Einfluß können wir
alle auf die Gestaltung unseres Lebens gewinnen. Erst dann wäre es
möglich, die Vereinzelung vieler Menschen zu beenden; nicht mehr
nebeneinander, sondern miteinander zu leben und damit Menschen das
Gefühl zurückzugeben, ihr Leben wirklich selbst bestimmen zu
können. Erst dann hätten wir, was den Namen Meinungsfreiheit
wirklich verdient.
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