Ob ein Mensch arbeitsfähig ist oder
nicht, weiß er selbst. Das Problem beginnt damit, daß Andere sich
anmaßen, darüber zu entscheiden. Wenn das dann auch noch in
Gesetzesform gegossen wird, sind die Zusammenhänge vollends auf den
Kopf gestellt.
Arbeitgeber haben Angst, selbständig
darüber entscheidende Arbeitnehmer würden einfach deshalb nicht zur
Arbeit erscheinen, weil sie faul wären. Anders gesagt, weil sie zum
Arbeiten keine Lust hätten.
Es ist ein negatives Menschenbild, das
sich hierin ausdrückt. Danach sind Menschen "von Natur aus"
faul; und sie arbeiten nur, wenn man sie dazu zwingt. Im sogenannten
Wohlfahrtsstaat, der ja auch für "nicht arbeitende"
Menschen sorgt (und Arbeiten, die von vielen Menschen umsonst
verrichtet werden, gerne verschweigt), werden diese nicht mehr durch
Hunger gezwungen, einer Arbeit nachzugehen. Also muß das Gesetz
dafür sorgen. Und so brauchen die Ausnahmen von dieser Regel eine
Begutachtung: durch Ärzte bzw. Behörden. Denn dem Menschen, der
sagt, er kann nicht, so die dahinter stehende Auffassung, ist nicht
zu trauen - der will sich nur drücken!
Am deutlichsten wird die Falschheit
dieses Menschenbildes anhand der Kinder. Im frühesten Alter wehren
sie sich gegen die Hilfestellungen der Erwachsenen. Zunächst in
bezug auf sich selbst: Sie wollen sich selbst anziehen, selbst ihr
Brot schmieren, selbst die Zähne putzen, und und und. Dann aber
wollen sie auch helfen - sie wollen tun und dabei lernen, was
Erwachsene tun, denn das führt zum Großwerden, zur Selbständigkeit.
Diese Haltung verlieren viele wieder.
Dafür muß man allerdings unsere Gesellschaft verantwortlich machen,
nicht ein eingebautes "Faulheits-Gen". Denn Kinder werden
(inzwischen immer früher) in eine Ersatz-Welt gezwungen. Dort wird
ihnen dann, pädagogisch aufbereitet, beigebracht, was sie für das
Leben in der Zivilisation brauchen: daß das aber wirklich der Fall
ist, ist für sie gar nicht einsehbar. Zu begreifen, daß Mathematik
Fähigkeiten übt, die im Erwachsenenleben selbst in der Mathematik
weit fern stehenden Berufen gebraucht werden, gelingt auch manchem
Erwachsenen nicht. In der Schule zählen nur die Noten; die
Heerscharen Erstsemester, die das selbständige Arbeiten nicht
gelernt haben und immer noch dabei sind herauszufinden, was der Herr
Professor hören will, sprechen da eine deutliche Sprache.
Hinzu kommt, daß sowohl einzelne
Lehrpersonen als auch das häusliche Umfeld stark demotivierend
wirken können. Vielen Kindern wird, insbesondere wenn sie aus ihren
Fehlern lernen könnten, durch Schimpfen oder sonstige negative
Beurteilungen jegliches Selbstvertrauen genommen. Wer von sich kaum
glaubt, daß er irgendwelche Dinge anpacken und meistern könnte,
wird sich eben lieber davor drücken.
Und dann passiert etwas ganz Perfides.
Begegnet man nämlich Kindern mit diesem negativen Menschenbild, sagt
man ihnen damit folgendes: "Von dir ist überhaupt nicht zu
erwarten, daß du nötige Aufgaben freiwillig erledigst - es ist im
Gegenteil damit zu rechnen, daß du dich drücken willst." Damit
unterstellt man ihnen, sie müßten dazu gezwungen werden. Man muß
das nicht direkt sagen; es reicht, wenn man z.B. über freiwillige
Handlungen eines Kindes üblicherweise mit Erstaunen reagiert. Es
reicht, wenn man ihren ausdrücklichen Motiven mit Mißtrauen
begegnet. Daß so etwas demotivierend wirkt, verstehen immerhin
(noch) die meisten Erwachsenen, zumindest theoretisch. Die Reaktion
folgt dann (insbesondere bei Pubertierenden) auf dem Fuß: Gut, wenn
du meinst, daß ich nicht von selbst tue, was anliegt, dann tu ich's
halt auch nicht! Für kleine Kinder gilt ohnehin: Sie tun, was man
von ihnen erwartet. Wenn das Faulheit ist, dann werden sie dem auch
nachkommen.
Einerseits haben wir also, wo Menschen
wirklich nicht arbeiten wollen, dazu erzogene Drückeberger.
Andererseits muß man doch auch sehen, daß es viele Arbeitsplätze
gibt, die der (persönlichen) Entwicklung eines jeden Menschen
geradezu entgegenstehen; oder aber auch sonst eine wahre Zumutung
sind (eintönige Arbeit, einseitig belastende Arbeit, Arbeit, die den
Körper in hohem Grade verschleißt, etc.). Wer solcher Arbeit
freiwillig nachginge, außer es bliebe ihm nichts anderes übrig,
müßte ja für dämlich gehalten werden; niemand schädigt sich doch
freiwillig selbst. (Die Frage, wie unsere Gesellschaft mit psychisch
Kranken umgeht, die nämlich in psychiatrischen Einrichtungen qua
"Beschäftigungstherapie" als billige Arbeitskräfte für
die Industrie ausgebeutet werden, will ich hier ausklammern.)
Doch darum geht es offenbar: Menschen
in für Menschen nicht geeignete Arbeit hineinzuzwingen. Nicht
zuzulassen, daß sie sich daraus befreien. (Auch daher stammt die
Forderung nach einem Mindestabstand zwischen Sozialhilfe und
Niedrigverdienst.) Am liebsten sehen es doch sogenannte Arbeitgeber
(als wären es nicht die Arbeitenden, die ihre Arbeit geben), wenn
das Heer derjenigen, die dringend einen Job brauchen, einigermaßen
groß ist - dann kann man alle möglichen Bedingungen aufdiktieren,
auch gegen die Existenz einer Gewerkschaft. (Ich lasse es bei dieser
Andeutung der existierenden Machtverhältnisse.) Von den betroffenen
Menschen, die in solchen Arbeitsbedingungen stecken, ohne sich daraus
befreien zu können, ziehen es (leider) viele vor, die noch
schwächeren zu demütigen - tut ja auch weh sich einzugestehen, daß
man in einer Zwangslage steckt. Da beschimpft man lieber diejenigen,
für die keine Jobs mehr übrig sind, als faul. So kann man sich
selbst als fleißig und pflichtbewußt deklarieren, ohne den Schmerz
der eigenen Unterwerfung spüren zu müssen. (Das gilt natürlich
auch für die Tretmühlen auf Luxusniveau.) Der Stammtisch hilft so,
die Verhältnisse zu stabilisieren.
Unser Wohlstand, die Bequemlichkeit,
die Massenproduktion - mag alles ohne unzumutbare Arbeitsplätze
nicht denkbar sein. Doch wollen wir uns wirklich immer weiter für
Zwang entscheiden und diejenigen, die sich dem verweigern oder
bereits krank davon geworden sind, auch noch bestrafen? Wäre es
nicht Zeit dafür, unzumutbare Arbeit, wo sie wirklich nicht
veränderbar ist, zu teilen, so daß jeder einmal an der Reihe ist
und niemand privilegiert? Und, als letzten Gedanken: Sollte man nicht
gerade diejenige Arbeit, die man zurecht wirklich nicht von selbst
tun wollte, eben aus diesem Grunde am höchsten bezahlen?
!!