Schnelle
Schnitte, starke Effekte, eine Flut an Eindrücken - das scheint eine
inzwischen weit verbreitete Machart von Fernsehsendungen zu sein.
Informationen gibt es nur als Schnipsel, wenn überhaupt.
Zusammensetzen kann man sie nicht, denn dafür bräuchte es Ruhe;
doch sobald man anfängt, einen Faden des Nach- bzw. Mitvollziehens
des Präsentierten zu knüpfen, wird man durch die nächste
Effekthascherei daran gehindert.
Darin
liegt der Unterschied zwischen aktivem und passivem Zuschauen - die
aktive Zuschauerin ist mehr oder weniger bewußt damit beschäftigt,
das Gesehene zu verorten; einzuordnen in bereits Bekanntes,
aufzumerken wo Neues auftaucht, und auch zu erwarten, daß kommt, was
sie schon kennt, weil es logisch, thematisch, sachlich dazugehören
würde; zusammen mit der Neugier darauf, in welchen Zusammenhang das
Erwartete (möglicherweise überraschend) gestellt wird. Passiv
zusehen heißt, daß all dies unterbleibt. Der Zuschauer läßt den
Strom der Bilder über sich ergehen; ob er dranbleibt oder nicht,
hängt allein von seinem Wohlbefinden ab.
Passives
Zuschauen ist die Voraussetzung dafür, daß man durch oben
beschriebene Weisen der Darstellung nicht gestört wird. Daß
Mitdenken nicht möglich ist, wird nicht bemerkt; ein Faden wird
allenfalls als Kette von Assoziationen geknüpt. Man braucht sich mit
nichts auseinanderzusetzen, insbesondere nicht mit sich selbst. Es
liegt nur mehr ein Reiz-Reaktionsschema vor: Die Sendung liefert
Stichworte ohne Kontext, die man beliebig in die eigene Mentalität
hineinverweben kann. Jeder wie er will, und jeder wieder anders.
Fallen die falschen Stichworte, schaltet man um. Irgendeines dieser
vielen Reizüberflutungsprogramme wird schon die richtigen liefern.
Vermutlich
lassen sich die meisten von uns ab und zu auf diese Weise, wie wir es
nennen, berieseln. Man "schaltet ab", gewinnt Abstand von
einem Berufsalltag, der von uns oft immer mehr fordert. Und wenn es
nur das wäre - halb so wild.
Aber:
Zum Problem wird uns diese Sorte Programm, wenn wir uns damit in ein
passives Zuschauen geradezu einüben. Denn damit einher geht auch die
Gewöhnung an eine Verarbeitung von Eindrücken, die mit "Denken"
nicht mehr unbedingt viel zu tun hat; man übt sich eher darin, nicht
mehr zu denken. Die Gefahr ist, daß sich dies auf andere Bereiche
überträgt und wir, ohne es zu wollen, unkritisch werden, weil wir
uns Hinschauen, Zur-Kenntnis-Nehmen, Gesehenes in Kontexte einbetten
abgewöhnen. Ohne es zu bemerken, gehen uns diese Fähigkeiten im
ganz wörtlichen Sinne verloren - weil wir sie nicht mehr (aus-)üben.
Ein
kurzer Exkurs sei den so beliebten politischen Talkshows gewidmet,
die ja mit dem Anspruch auftreten, eine Schnittstelle zwischen
Politik und WählerInnen einzunehmen und insofern zur politischen
Willensbildung beizutragen. Ob ihnen das gelingt, ist natürlich in
hohem Maße davon abhängig, daß die Gäste den passenden, d.h.
folgerichtigen Fragen und Nachfragen ausgesetzt werden. Oft kommt es
allerdings vor, daß ModeratorInnen dieses Nachhaken unterlassen,
weil sie (wie es aussieht) ihre vorgefertigte Liste an
Gesichtspunkten abarbeiten wollen. Ich habe auch schon erlebt, daß
spannende Diskussionen, in denen die Gäste lebhaft ihre Argumente
austauschten, einfach abgebrochen werden. Wohl u.a. deshalb, weil
auch das nicht zum Protokoll gehört? (Einem der Moderatoren konnte
ich dabei zusehen, wie er einem Gast ins Wort fiel, der damit
beschäftigt war, die ihm zuvor gestellte Frage zu beantworten. Diese
Sendung habe ich nicht mehr eingeschaltet, aber die Quoten sind,
trotz vieler Zuschauerproteste, nach wie vor hoch.) Nicht wenige
dieser thematisch durchaus interessant angelegten Sendungen verkommen
so zu schlechter Unterhaltung, während die Zuschauer sich, wo sie
das Fehlen einer Frage nicht von selbst bemerken, bestens informiert
fühlen. In jedem Fall ist wohl davon auszugehen, daß das, was Gäste
aus der Politik dort von sich zeigen, als Information aufgenommen
wird und meinungsbildend wirkt, selbst wenn sie durch eine
unglückliche Moderation ihre Beiträge nicht vervollständigen
können. -- Die Grenzen zur Manipulation sind fließend.
Während
Erwachsene grundsätzlich die Chance haben zu merken, was ihnen da
geschieht (spätestens dann, wenn man nicht mehr in der Lage ist, ein
anspruchsvolles Buch zu lesen), sieht das bei Kindern anders aus. Wie
jeder weiß, der mit Kindern zu tun hat oder hatte, sind Kinder in
ihrer Aufmerksamkeit sehr leicht zu fesseln. Insbesondere der
Fernseher nimmt dabei eine eher unrühmliche Rolle ein. Natürlich
(und zum Glück) gibt es auch Sendungen, die Kreativität anregen.
Doch wo aktives Zuschauen verunmöglicht wird, können sich Kinder
besonders schwer entziehen (und man kann sie kaum loseisen). Bereits
die vielen bunten Bilder fordern zur Aufmerksamkeit auf. Insbesondere
die schnellen Wechsel führen jedoch dazu, daß die Kinder nahezu
kleben bleiben; denn jeder neue Eindruck muß verarbeitet werden.
Erst ein Erwachsener kann überhaupt die Fähigkeit entwickelt haben
zu bemerken, daß seine Verarbeitungsversuche permanent gestört
werden, weil das nächste Bild, die nächste Szene viel zu früh
kommt. Der Erwachsene hat aber auch längst in seinem Leben eine
Menge erlebt; der Strom der Bilder enthält nicht wirklich viel
Neues. Auf Kinder kann er allerdings nur überfordernd wirken. Kinder
saugen alles auf, wie ein Schwamm, und sie können noch nicht
loslassen - jedes neue Bild erzwingt neue Aufmerksamkeit. Der Prozeß
des Ansehens, der Verarbeitung, d.h. der Integration des Gesehenen in
den eigenen kognitiven Strom beginnt mit jeder neuen Information von
vorne, ohne daß er auch nur zu einem vorläufigen Abschluß gelangen
könnte - denn schon ist das nächste Bild verpaßt. Das erzeugt
Streß; je länger ein Kind dem ausgesetzt ist, desto größer ist
diese Reizüberflutung.
Es
ist hoffentlich einzusehen, daß die Einübung in derartige
Wahrnehmungsmuster einen fatalen Einfluß auf das Denken haben muß:
Die eigene Leistung, die man in der Wahrnehmung erbringt, nämlich
sie mit einem roten Faden zu versehen - also Zusammenhänge zu
entdecken, Unterschiede zu bemerken, Widersprüche auszumachen -
diese Leistung kann nicht erbracht werden. Man übt sich ein in eine
Wahrnehmung, in der man das Wahrgenommene nicht mehr selbst
verknüpft; das übernimmt die Sendung. In vielen Zeichentrickfilmen
ist diese Verknüpfung aber nicht einmal sachgerecht: Wer auf den
Kopf geschlagen wird, sieht zwar Sterne, ist aber in der nächsten
Szene, im nächsten Bild überhaupt nicht beeinträchtigt; selbst
wenn ein Verband eine Wunde andeutet, so trabt doch der Held munter
weiter durch die Szenen. Auch Dokumentationen reihen oft genug bloß
einen Informationsschnipsel an den anderen, ohne daß ein Faden
erkennbar wäre. Bereits bei der Herstellung der Sendung wurde das
Denken offensichtlich durch die Bildung von Assoziationsketten
ersetzt. Es ist, als würde man die Teile eines Puzzles nicht
nebeneinander, sondern einzeln nacheinander, in beliebiger
Reihenfolge präsentiert bekommen (während man das eine anschaut,
ist das vorhergehende weg und wird auch nicht wieder auftauchen) -
und auch das nur zur Hälfte.
Wo
nach- und mitvollziehbare Zusammenhänge nicht mehr gebildet,
Informationen nur noch aneinandergreiht und in keinen Kontext
gestellt werden, da bleibt über kurz oder lang das Denken auf der
Strecke. Damit wird aber auch nicht gelernt, was ein Argument ist;
die Unterscheidung zwischen einem Argument und einer Behauptung fällt
ganz einfach unter den Tisch. Man lernt nicht, Gesehenes, Gelesenes,
Gehörtes folgerichtig zu verbinden und reflektierend zu verarbeiten
- statt dessen knüpft man sich dran, wenn es emotional passt, oder
reagiert mit Ablehnung, wo es die eigenen Gefühle nicht bestätigt.
Dies unabhängig von jeglichem Inhalt; Kritikfähigkeit wird nicht
ausgebildet.
Sicher
ist das zu häufige Ansehen solcher Fernsehprogramme (sowie die
Erwachsenen, die ihre Kinder nicht davon losreißen) nicht der
alleinige Grund für das Unvermögen, kritisch zu denken bzw. zu
urteilen; aber es ist ein Faktor, der angesichts des weit
verbreiteten, oft recht hohen Konsums des Mediums Fernsehen wohl
nicht unwesentlich ins Gewicht fallen dürfte. Solche Sendungen sind
verbreitet, und mein Eindruck ist, daß es immer mehr davon gibt.
Eine Demokratie kann nicht daran interessiert sein, daß sie
überhaupt produziert werden. Denn wer das reflektierende Denken
nicht lernt und übt, entscheidet letztlich, auch wenn er sich selbst
etwas anderes einbildet, mittels Emotionen. Demagogen gehen hier
erfolgreich auf Stimmenfang - der Erfolg der Teaparty in den USA muß
dafür als warnendes Beispiel gelten.
Wer
nicht urteilsfähig ist, kann nicht als demokratiefähig gelten.
Hierin liegt die Gefahr für uns alle.